wikileaks will auch lokalen

Daniel Schmiitt - oder vielmehr der Mann, der sich so nennt - ist das deutsche Gesicht von Wikileaks, Bei der re:publica in Berlin sprach er auch über Pläne, mit Regionalzeitungen zu kooperieren. Foto: dpa
Daniel Schmiitt - oder vielmehr der Mann, der sich so nennt - ist das deutsche Gesicht von Wikileaks, Bei der re:publica in Berlin sprach er auch über Pläne, mit Regionalzeitungen zu kooperieren. Foto: dpa

Wikileaks hat ambitionierte neue Pläne: Die Plattform, die brisantes Material veröffentlicht und zuletzt mit einem Video des US-Militärs aus Bagdad weltweit Aufsehen erregte, will sich stärker für regionale Themen öffnen und strebt dazu Kooperationen mit Regionalzeitungen an.

Lesezeit: 5 Minuten
Anzeige

Wikileaks hat ambitionierte neue Pläne: Die Plattform, die brisantes Material veröffentlicht und zuletzt mit einem Video des US-Militärs aus Bagdad weltweit Aufsehen erregte, will sich stärker für regionale Themen öffnen und strebt dazu Kooperationen mit Regionalzeitungen an.

Es haben nicht viele Menschen eine solche Visitenkarte wie Daniel Schmitt: keine Adresse, keine Festnetznummer. Dafür stehen ganz unten stehen zwei Zahlen- und Buchstabenkombinationen, die Laien sehr kryptisch erscheinen. Das ist der öffentliche Zahlenschlüssel, um ihm verschlüsselt eine E-Mail schicken zu können. Daniel Schmitt ist Mitarbeiter von Wikileaks, „der einzigen weltweit funktionierenden Plattform für Whistleblower“, also für Hinweisgeber, die anonym bleiben wollen. Gerade ist Wikileaks durch das Video von schießwütig erscheinenden US-Soldaten im Irak in aller Munde – 3500 Schlagzeilen weltweit hatte das Video, sagt er bei der Bloggerkonferenz re:publica in Berlin.

Als Wikileaks im Herbst vergangenen Jahres einen Strafbefehl des Amtsgerichts Kaiserslautern gegen einen jungen Mann veröffentlichte, berichtete dagegen nur unsere Zeitung: Der Mann hatte Liedtexte auf seine Wer-kennt-wen-Seite kopiert, die die Behörden für eine Amokdrohung hielten. Damals gab es Kritik aus dem Netz, dass Wikileaks auch „so etwas“ veröffentlicht. „Wir entscheiden nicht über Relevanz“, sagt dazu Schmitt. Im Gegenteil: Wikileaks will künftig auch mit Regionalzeitungen zusammenarbeiten. Auf deren Internetseiten soll ein ein HTML-Code mit einem Link eingebunden werden können, der anonyme Hinweisgeber direkt zu den besonders geschützten völlig anonymisierten Wikileaks-Seiten führt. Von dort soll die Zeitungsredaktion dann befristet exklusiv das Material zur Verwertung erhalten und am Verifizierungsprozess beteiligt werden. Aus technischer Sicht könne es losgehen, sagt Schmitt. Es stehen noch Entscheidungen der amerikanischen Knight Foundation aus, bei der sich Wikileaks um Mittel beworben hat. Wikileaks verspricht positive Auswirkungen auf investigativen Qualitätsjournalismus speziell bei kleineren Medien.

Generell sieht sich Wikileaks in der Rolle des Partners für Medien, auch wenn das in den Zeitungshäusern vielerorts noch nicht so gesehen wird. Es hört sich allerdings auch nicht schmeichelhaft an, wenn zur Anmoderation von Schmitt in Berlin gegenübergestellt wird: Wikileaks habe seit 2006 so viele Enthüllungen wie die Washington Post in den vergangenen 30 Jahren herausgebracht. Schmitt formuliert das anders: „Wir sind Premium-Lieferant für Medien – und erleichtern investegativen Journalismus.“ Die von Spenden getragene Plattform hat und erweitert eine Infrastruktur, die so sonst kaum jemand bieten kann: Schmitt rechnet vor, dass mit 1000 ehrenamtlichen Experten rund um die Welt zusammengearbeitet wird, um die Echtheit von Material zu überprüfen. Auf die Welt verteilt stehen Server in Ländern, deren Presserecht besonders weitgehenden Schutz bieten. „Wir sind nicht zensierbar, weder auf juristischem noch technischem Weg“, sagt er und lässt noch mal die Geschichte des Giftmüllskandals der britisch-niederländischen Ölfirma Trafigura Revue passieren: Dem britischen „Guardian“ wurde nicht nur untersagt, darüber zu berichten, sondern auch, dass die Dokumente bei Wikileaks liegen. Erst als das Thema das Parlament erreichte und es bei Twitter einen Proteststurm gab, zog die Firma zurück. Ein global verortetes Wikileaks lässt sich nicht in die Knie zwingen, „und wir veröffentlichen Material, wenn Zeitungen unter juristischen Druck geraten“.

Den US-Sender CBS-News hatte die zeitweilig von einem US-Gericht verhängte Sperrung der Adresse zur Überschrift „Freedom of Speech has a number“ – „Redefreiheit hat eine Nummer“ – verleitet. 88.80.13.160 ist die IP-Adresse, unter der die Seite ohne www-Adresse erreichbar ist.

Für Schmitt sind die als „Collateral Murder“ bekannt gewordenen Videobilder aus dem Irak ein weiterer Beleg für die Notwendigkeit von Wikileaks: Die Agentur Reuters hatte unter Verweis auf den Freedom of Information Act zwei Jahre vergeblich versucht, an den Film zu kommen, „Transparenz ist national nicht garantiert, wenn es hart auf hart kommt“, sagt Schmitt.

Im Friedrichstadtpalast reißt es viele Zuhörer zum Applaudieren von den Stühlen, als er mit seinem Vortrag am Ende ist. Wer sich dem Internet verschrieben hat, sieht den Glauben an die Macht durch Wikileaks und die Pilosophie dahinter eindrucksvoll bestätigt. „History is the only guidebook civilization has“, war der Vortrag überschrieben – und Wikipedia sieht seine Aufgabe darin, dass möglichst viele düstere Kapitel der Geschichte geschrieben und bewahrt werden, damit daraus die richtigen Lehren gezogen werden. Am meisten geheim gehalten werde das, was die größte Kraft hat, Reformen auszulösen, sagt Schmitt.

Den organisierten Geheimnisverrätern selbst wird vorgeworfen, dass es mit ihrer Transparenz nicht sehr weit her ist. Das macht auch den Aktivisten etwas zu schaffen – bei den Spenden und Stiftungsgeldern, aus denen sich Wikileaks ausschließlich finanziert. Aktuell ist aber zunächst genug zusammen gekommen, um die Seite bald wieder in vollem Umfang online zu stellen. Die Seite war zwischenzeitlich ganz offline, und dann ohne Wiki- und Archiv-Bereich wieder online gegangen. „Wir mussten deutlich machen, dass Spenden benötigt werden. Aber seither hatten wir auch jeden Tag ein Stück unseres Lebens vermisst. Wir hoffen, dass wir das nie mehr machen müssen.“ "Deshalb werde auch daran gearbeitet, mehr Rechenschaft abzulegen über die Mittelverwendung“, so Daniel Schmitt. Der Name ist auch nur das Pseudonym eines Mannes, der Journalist ist und aus der IT-Securitybranche kommt. Als Daniel Schmitt, wie er sich sich mit seinem Einstieg bei Wikileaks nannte, ist er aber inzwischen so bekannt, dass er ihn nicht mehr ablegen kann. Nötig sei zumindest das eigentlich nicht mehr. Die Verschleierung der eigenen Strukturen erklärt Wikileaks als notwendig zum Schutz der Informanten. Noch keine einzige Quelle habe enttarnt werden können.

Die Informanten, das sind in der Regel sehr moralische Menschen, sagt Schmitt. Den Kontakt suchten sie auch deshalb zu Wikileaks, weil dort die Informationen komplett veröffentlicht würden – was bei den angestammten Medien nicht garantiert sei. Das sei aber nötig, damit sich die Menschen selbst ein Bild machen könnten.

Doch wollen die Menschen das überhaupt? In einer Diskussion hat eine Fernsehjournalistin Schmitt gesagt, das Interesse an investigativem Journalismus sei leider nicht sehr groß. Er hat den Spieß umgedreht: Das sei eine Frage der Konditionierung, dem Publikum werde ja vorgemacht, dass Unterhaltung wichtiger sei. „Es ist Aufgabe der Medien, die Menschen damit zu konfrontieren, dann wächst die Bereitschaft.“ Stoff dafür wird Wikileaks sicher liefern. Lars Wienand (RZ)