Dallas/Paderborn

Taschenrechner: Die Erfindung, die niemand wollte

Von Christoph Dernbach
Jack Kilby hat vor 50 Jahren den Taschenrechner erfunden – um den Sinn seines zuvor erfundenen integrierten Schaltkreises zu zeigen. Foto:dpa
Jack Kilby hat vor 50 Jahren den Taschenrechner erfunden – um den Sinn seines zuvor erfundenen integrierten Schaltkreises zu zeigen. Foto: dpa

Es muss den US-Physiker Jack Kilby vor mehr als 50 Jahren fast in den Wahnsinn getrieben haben, dass sein damaliger Arbeitgeber Texas Instruments (TI) den Wert seiner bahnbrechenden Erfindung nicht richtig zur Kenntnis nahm. Im Sommer 1958 hatte er mit improvisierter Ausrüstung den integrierten Schaltkreis entwickelt, den ersten Mikrochip der Welt. Es sollte noch einmal fast zehn Jahre dauern, bis er mit dem Prototyp eines Taschenrechners eine Anwendungsmöglichkeit für den Mikrochip aufzeigen konnte.

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Kilby kam auf die Idee, Transistoren, Widerstände und Kondensatoren in einer einzigen Schaltung auf Basis eines Halbleiters zu vereinen. Er montierte 1958 den ersten integrierten Schaltkreis auf einem Glasplättchen mit einem Stück Germanium und mit Drähten dran. Für seine Erfindung wurde Kilby 1982 in die Ruhmeshalle der amerikanischen Erfinder aufgenommen und fand seinen Platz neben Thomas Edison und den Brüdern Wright. 2000 erhielt er den Physiknobelpreis. Doch Ende der 50er taten sich nicht nur die TI-Bosse damit schwer, das Potenzial der Erfindung konkret zu erkennen. Sie sei auf Fachkongressen eher als Kuriosität gehandelt worden, erinnert sich Kilby später. Um ein konkretes Anwendungsbeispiel für den Mikrochip vorlegen zu können, machte sich Kilby 1966 mit seinen Kollegen Jerry Merryman und James Van Tessel daran, den ersten Taschenrechner der Welt zu konstruieren. Vor 50 Jahren, am 29. März 1967, stellte Kilby seinen „Cal Tech“ dem Direktor von Texas Instruments vor. Der schwarze Aluminiumkasten war fast so dick wie ein Wörterbuch und wog zweieinhalb Pfund. Auch damals hätte er in keine Hosentasche gepasst. Doch er konnte mit Batterien unabhängig vom Stromnetz betrieben werden.

Der „Cal Tech“ konnte sechsstellige Zahlen addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren. Komplexere Funktionen beherrschte der Kasten nicht. Und so zeigte sich die TI-Führungsriege zunächst mäßig beeindruckt. Kilby musste zum zweiten Mal hinnehmen, dass eine große Erfindung von ihm quasi ignoriert wurde.

Immerhin ermöglichte die TI-Führung, dass der japanische Konzern Canon den „Cal Tech“ in eine Serienproduktion überführte. Canon brachte 1970 in Japan den „Pocketronic“ heraus, bei dem die Zahlen ebenfalls nicht elektronisch angezeigt, sondern auf einem kleinen Streifen Thermopapier ausgedruckt wurden. Auf den US-Markt kam der Rechner 1971 und kostete knapp 400 Dollar.

Im „Handy-LE“ des japanischen Herstellers Busicom leuchteten 1971 dann erstmals LED-Ziffern. In Japan kamen beinahe zeitgleich der Sanyo ICC-82D und der Sharp EL-8 auf den Markt. In Deutschland kosteten sie jeweils rund 2000 Mark. Doch die hohen Preise verfielen schnell: „1974 gab es die ersten Geräte für unter 100 Mark“, sagt Andreas Stolte vom Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn. „Der HP 35 von Hewlett Packard ermöglichte bereits die Berechnung von Winkel- und Exponentialfunktionen. Dieser erste technisch-wissenschaftliche Rechner erschien 1972. Im selben Jahr setzte schließlich auch Texas Instruments die eigene Erfindung kommerziell um und bot den TI-2500 Datamath zum Kauf an.“

Auch der Siegeszug der Personal Computer in den 80er- und 90er-Jahren konnte den Taschenrechnerboom nicht bremsen: 1999 wurden nach Berechnungen der Marktforscher der GfK 4,4 Millionen Taschenrechner in Deutschland abgesetzt.

Mit der Allgegenwart von Smartphones lassen aber immer mehr Anwender den Taschenrechner in der Schublade liegen, schließlich gibt es sowohl für das iPhone als auch für Android unzählige Taschenrechner-Apps. Im vorigen Jahr wurden in Deutschland nach GfK-Berechnungen immerhin noch 2,6 Millionen Geräte verkauft. Auch in den Schulen in Deutschland hat der Taschenrechner nicht ausgedient, da Smartphones und Tablet-Computer in den meisten Klassen tabu sind.

Von Christoph Dernbach (dpa)