Virneburg

Kurz vor seinem 80.: Wieso Motor-Journalist Hahne Texte hinter Paywall packt

Wilhelm Hahne bei der Vorstellung seines Buchs zum Nürburgringskandal. Texte zu dem Thema soll es auch künftig frei lesbar geben. Wer aber auf seiner Seite Analysen zu Automobilthemen lesen will, muss ein Abo für 80 Euro buchen.
Wilhelm Hahne bei der Vorstellung seines Buchs zum Nürburgringskandal. Texte zu dem Thema soll es auch künftig frei lesbar geben. Wer aber auf seiner Seite Analysen zu Automobilthemen lesen will, muss ein Abo für 80 Euro buchen. Foto: dpa

Blogger führt erfolgreich Bezahlschranke ein: Die Nachricht um Andrew Sullivan hat für Furore gesorgt. Ein paar Wochen vorher hatte unweit des Nürburgrings der 79-jährige Motor-Journalist Wilhelm Hahne gleiches angekündigt. Ein Interview mit ihm über Kostenlosmentalität, Qualitätsjournalismus, Blogger als „Tagebuchschreiber“ und seine Enttäuschung über die ersten Reaktionen.

Lesezeit: 14 Minuten
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Wilhelm Hahne hat seinen eigenen Kopf und seine festen Überzeugungen – schon immer. Es war 1958, als er auf einer Messe in Düsseldorf eine Dachfläche aus Kunststoff-Planenmaterial präsentierte. Gegen die Überzeugung seines Chefs, der keine Alternative zu Naturfasern sah. Der Ausgang ist bekannt. 50 Jahre später, Hahne ist nach Stationen als Autoverkäufer und Autohändler längst umgestiegen in den Journalismus, war er dann Vorreiter am Nürburgring: Er zeichnete in seinen Artikeln das vor, was sich dann auch dort abspielte.

2013 könnte er wieder so etwas wie ein Pionier sein. In dem Jahr, in dem viele Zeitungen im Netz unbeschränkten Zugang nur noch Abonnenten gewähren wollen, sind viele Texte seiner Seite motor-kritik.de nur noch kostenpflichtig zu lesen. Seine eigene Wertschätzung für seine Arbeit sollen auch die Leser zeigen – mit 80 Euro für zwölf Monate.

Andrew Sullivan ist Journalist und Blogger, betreibt eine eigene Seite – und macht gerade Furore damit, dass man bei ihm nicht mehr alles frei lesen kann und er umgehend eine ansehnliche Summe eingesammelt hat.Wann haben Sie zum ersten Mal von ihm gehört?
Am Ende meines 79. Lebensjahres von Ihnen.

Hätte Sie sein Fall in ihren Überlegungen bestärkt, ihre Texte kostenpflichtig zu machen?
Nachdem ich mir schnell ein paar Details aus seinem Leben angelesen habe, glaube ich nicht, dass ich in irgendeiner Form von seiner Art bestimmt sein könnte. Ich bin klar für oder gegen etwas. Und treffe meine Entscheidung aufgrund der vorliegenden Argumente und meiner Lebenserfahrung. Und da habe ich nun mal ein paar Jahre Vorsprung.

Wieso musste in Deutschland ein 79-Jähriger kommen, um ein Bezahlmodell für seine Internetseiten einzuführen?
Ich finde es interessant, dass Sie die Einführung eines Abo-Systems für meine Internetseiten meinem Alter anlasten bzw. mich als einen Pionier darstellen, während ich nur davon überzeugt bin, dass man in allen Berufen zu unterschiedlichen Zeiten immer irgendwelche Entscheidungen treffen muss. Möglichst die richtigen. Auf mich und meine Internetseiten bezogen: Ich bin davon überzeugt, in einer Phase, in der die „Financial Times Deutschland“ eingestellt wird, die „Frankfurter Rundschau“ den Weg in die Insolvenz wählt, für „Motor-Kritik“ die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Nur für Motor-Kritik? Oder könnten Sie Vorbild sein für andere?
Ja, nur für „Motor-Kritik“. Denn jeder Fall ist irgendwie anders. „Motor-Kritik“ gibt es seit 1997 ausschließlich im Internet. Meine Position ist nicht mit der irgendeiner Zeitung und Fachzeitschrift zu vergleichen, die versuchen, im Internet kostenlose Zusatzinformationen zu bieten, während ihre Titel am Kiosk als üblich gewordene Mischung von Werbung und Informationen zu auch üblich gewordenen Preisen von drei bis vier Euro angeboten werden. „Motor-Kritik“ ist ein Informationsdienst, der seine Basis nicht in Meldungen von Nachrichtenagenturen oder Pressemitteilungen von Firmen findet. Ich nehme „stille Fragen“ von Automobil-Nutzern auf und beantworte sie vor dem Hintergrund von jahrzehntelanger Erfahrung unter Berücksichtigung einer modernen – aber sinnvollen – technischen Entwicklung. Da sehe ich mich dann in der ursprünglichen Position eines Journalisten, der von natürlicher Neugier getrieben, auch schwierigen Fragen nicht ausweicht, bzw. sich nicht mit 08/15-Antworten abspeisen lässt. Ich würde mich also nicht als „Blogger“ bezeichnen, die aus meiner Sicht eher die Funktion eines „Tagebuchschreibers“ haben.

Da grenzen Sie sich aber sehr ab. Auch im Internet sind Magazine entstanden, die es nicht gedruckt gibt. Und Ihre Beschreibung von Ihrer Arbeit würden auch etliche Blogger unterschreiben, die täglich zigtausende Leser zu Fachthemen haben…
Das mag aus Ihrer Sicht so aussehen. Die meisten Internetseiten, die ich kenne, sind „Mischformen“, die jede für sich genommen, eigentlich wenig Wert haben, wo man aber auch noch nicht erkannt hat, dass die alten Grundsätze des Journalismus – eine Meldung sollte nicht mit Meinung vermischt sein – hier nicht mehr von Bedeutung sind. Damit kann man heute versuchen, vorhandene Schwächen zu vertuschen, aber nicht die Zeit zurück drehen. Ich verbreite nicht einfach Neuigkeiten, sondern füge Nachrichtenteil für Nachrichtenteil durch Meinungs-Mörtel zusammen. Entweder bringt man im Internet beides zusammen, oder man betont mit der Internetseite die Aktualität der Druckversion, die die vorab gebrachte Internetmeldung in einen Zusammenhang bringt, zu einer Meinungsbildung führt, die ein aktuelles Geschehnis erst verständlich macht.

Sie hatten auf Ihrer Seite aufgerufen, die Leser seien gefragt – aber eigentlich waren da die wichtigsten Entscheidung schon gefallen: Kein Crowdfunding, keine Werbung, kein Flattrn. Wie lange hatten Sie über Alternativen nachgedacht?
Dieser Umstellung meiner Internetseiten ist eine lange Zeit der Diskussionen und Beratungen voraus gegangen. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass – während ich meine Leser fragte – die wichtigsten Entscheidungen schon gefallen waren. Dass ich bei meiner Fragestellung einige Dinge ausgeschlossen habe, sollte vermeiden, dass dann Einwände, Rückfragen aus dem Leserkreis kommen, die den Weg hin zu einem Ergebnis nur unnötig verlängern. Ich habe laut mitgedacht.

Hatten Sie selbst sich denn vorher schon intensiver mit Flattr. & Co befasst oder haben Sie sich da beraten lassen?
Natürlich habe ich mit Leuten diskutiert, die die unterschiedlichsten Meinungen vertreten haben, aber z.B. dabei die Gefahr nicht erkannt haben, sich von so genannten „sozialen Netzwerken“ abhängig zu machen. Ich habe in meiner beruflichen Vergangenheit gelernt, wie man Statistiken gezielt einsetzt, wie man mit Zahlen jonglieren kann. Vielleicht würde ich meine Kenntnisse auf diesem Gebiet heute z.B. als angestellter Chefredakteur in optimaler Weise nutzen. Nur: Ich weiß um den „Unwert“, weil es darauf wirklich nicht ankommt. Ich mache Motor-Kritik nicht, um durch tolle Statistikzahlen zu glänzen, sondern vielleicht wenigen Lesern eine Hilfe zu sein, die sie sonst nirgendwo finden.

Und welche Schlüsse haben Sie aus den Reaktionen Ihrer Leser mitgenommen?
Ich war enttäuscht. Obwohl ich mir dann zum Vorwurf machen muss, dass ich durch die große Zustimmung, die meine Geschichten im Internet gefunden hatten, ein wenig eingelullt worden war. Dabei habe ich als Journalist zu den Leuten gehört, die sich immer schon mal auf großen Ausstellungen mit einem Stuhl an den Rand der Gänge gesetzt haben, um mir genau anzuschauen, für welche Leser ich eigentlich schreibe. Ich hatte die Realität wohl in dieser Internetphase ein wenig ausgeklammert. Ich schreibe offensichtlich nicht für eine Mehrheit der Leser, sondern für eine Minderheit. Und das tue ich sehr gerne. Vielleicht wird so die Minderheit ein wenig größer.

Geht es Ihnen um Einnahmen oder um Würdigung von Qualitätsjournalismus? Wünschen Sie sich mehr Bezahlschranken, „Leserclubs“ oder ähnliches?
Es geht mir nicht darum, dass der „Qualitätsjournalismus“ mit Geld gewürdigt wird, sondern durch einen entsprechenden Leserkreis zu einer gewissen Wirkung im jeweiligen Gebiet kommen kann. Denn es gibt Entwicklungen, die lassen sich „nur von außen“ anstoßen. Ich denke da z.B. eine Entwicklung auf dem Reifensektor, die inzwischen seit Jahrzehnten überfällig ist. Weil die jetzige Situation für Industrie und Handel „ergiebiger“ ist. Weil man die „Dummheit“ der Verbraucher einfach voraussetzt.

Wer darüber mehr erfahren will, wird es dann als Abonennt vermutlich demnächst auf Ihrer Seite lesen können ... Sie schreiben dort auch, dass auf Ihrer Seite offen über Geld gesprochen wird. Wie viel Geld ist denn schon durch Abos reingekommen?
Ich bin ich mit allem, was mir im Leben passierte, immer zufrieden gewesen. Schließlich lag die Weichenstellung immer bei mir. Auch als Angestellter. Wenn ich glaubte, dass ein „Chef“ mich ausnutzte, habe ich gekündigt. Heute, das neue Jahr ist nur wenige Tage alt, kann es noch nicht viele Abonnenten geben. Man wartet ab. Meint der das wirklich ernst? Dabei kommt es nicht darauf an, dass nun viel Geld durch das Abo hereinkommt, sondern durch das Abo-System praktisch auch eine Selektion der Leserschaft erfolgt. Bei „Motor-Kritik“ regiert nicht der „Mainstream“, sondern die Vernunft. Darum finden wahrscheinlich auch viele Politiker meine Seiten so „unvernünftig“.

Da sind Sie aber jetzt noch nicht sehr offen, was Abo-Zahlen angeht…
Da muss ich lachen. Sie kommen mir vor wie jemand, der vor dem Start einen Rennfahrer fragt, mit wie viel Vorsprung er denn das Rennen gewinnen wird. Ich stehe mit Motor-Kritik ja gerade erst auf der Startlinie; die Ampel springt gleich auf Grün: Wer wird da noch alles auf dem Weg zur ersten Kurve einen Fahrfehler machen? – Wissen Sie's?

Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches Rennen – aber ich wollte eigentlich ja nur wissen, wie voll der Tank am Start ist. Unterwegs können Sie ja nachtanken. Um im Bild zu bleiben: Haben Autofirmen Abos abgeschlossen, weil sie Ihren Boxenfunk nicht verpassen wollen?
Es gibt keine Firmenabos aus der Autobranche. Es gibt da auch „stille Absprachen“. Sie glauben nicht, wie stark z.B. der VDA ist – auch als Lobbyist in Berlin und Brüssel. Denken Sie da z.B. mal an die Einführung des ABS für Motorräder. Immer alles nach dem Motto: Man kann doch nicht gegen Sicherheit sein. – Wenn man dann versucht, ins Detail zu gehen, muss man feststellen, dass die „politischen Entscheider“ noch nicht einmal über Basiswissen verfügen. Aber es gibt Gutachten... – Sie verstehen?

Nicht, was das noch mit der Frage zu tun hat.
Man kann doch nicht jemanden wie mich durch Abschluss eines Abos unterstützen, wo ich mich doch in der Vergangenheit als nicht lernfähig erwiesen habe. Ich würde ein Abo nicht als „Unterstützung“ empfinden, sondern umgekehrt wohl meinen, dass jemand bereit ist zu lernen. Aus der Erfahrung, aus einem Blick, der nicht am eigenen Schreibtischrand endet, sondern der – auf die Branche bezogen – das ergibt, was einen so genannten „Generalisten“ ausmacht, die heute in der modernen Industrie zu den „exotischen Tieren“ gehören.

Verstehen Sie, wenn Nutzer den Vergleich mit dem Abo für gedruckte Magazine und Zeitungen ziehen und Sie da zu teuer finden?
Ich habe gerade die Jahresrechnung für die „Hörzu“ bezahlt. Den größten Teil des dort publizierten Inhalts (Programme) erhält man dort im Verlag kostenlos von den Sendern. Ich zahle dafür (einschl. der vielen Werbeseiten) knapp 100 Euro p.a.. Wieso ist da ein Einzel-Abo mit 80 Euro für „Motor-Kritik“ zu teuer?

Ich hatte seit Jahren keine „Hörzu“ in der Hand. Aber Sie wollen doch nicht alle Magazine und Zeitungen inhaltlich mit der „Hörzu“ gleichsetzen? Für 84 Euro erhalte ich auch ein Jahresabo von „Spektrum der Wissenschaft“.
Ich habe eben die „ADAC-Motorwelt“ in die Hand genommen. Es ist die Zeitung meiner Frau, die sie über den ADAC-Beitrag mit bezahlt, aber niemals liest, die immer – wenn ich sie nicht davor bewahren würde – gleich in den Papierkorb wandert. Der Anzeigenanteil liegt bei 50 Prozent, wie bei anderen Fachzeitschriften auch. Wo ist der Wert? Nun gut, ich abonniere eben kaum Zeitschriften, kaufe aber z.B. regelmäßig die „c't“, die einzige Computerzeitschrift die ich ernst nehme. Ich respektiere, dass es Leser gibt, die Motor-Kritik und ihren Abo-Preis als zu teuer empfinden. Ich persönlich ärgere mich über eine schlechte Bratwurst für zwei Euro und zahle gerne einen relativ hohen Preis für ein sehr gutes Menue. Man muss sich im Leben immer entscheiden was man will: Ist der Preis entscheidend oder die Qualität?

Und was macht die Qualität bei Ihnen aus?
Wenn Sie mal die „alten“ Motor-Kritik-Geschichten lesen, die heute immer noch Leser finden, dann versteht man (vielleicht), dass es immer noch einen Unterschied gibt zwischen: „Machen Sie zu dem Layout doch noch mal schnell 250 Zeilen á 40“ und einer Geschichte, die aus der Situation heraus entsteht, dass heute in Druckversionen kaum noch irgendwo Platz ist für eine Geschichte, die einschließlich Fotos dann 25 oder 30 Seiten einnehmen würde. Weil es eine Grundsatzgeschichte ist. Die niemand bringt. Weil man auch kaum Zeit hat, soviel Zeit in ein einziges Thema zu investieren. Weil man heute dem Leser „Häppchen“ servieren, eine Vielfalt auf möglichst vielen Seiten darstellen muss, damit man möglichst jeden Leser anspricht. Motor-Kritik möchte nur die Leser ansprechen, die die Art der Motor-Kritik-Geschichten mögen und bereit sind, dafür im Jahr 80 Euro auszugeben. Wenn es dafür nur wenige Leser gibt: Gut. Es gibt ja auch nur eine „Motor-Kritik“.

Als ich Sie kontaktiert habe, waren Sie wegen einer schweren Erkältung ans Bett gefesselt. Danke, dass Sie trotzdem sofort dem Interview zugestimmt haben. Wie sieht das aber mit dem Gegenwert für die Abozahlungen aus, wenn Ihre Gesundheit mal länger nicht mitspielen sollte?
Das Leben ist ein Langstreckenrennen, bei denen es auch mal Boxenstopps geben muss. Gewinnen kann man solche Rennen nur – wie ich aus Erfahrung weiß – wenn man die Stopps immer kurz hält. So war das in der Vergangenheit auch immer, wenn Sie das auf einen krankheitsbezogenen Arbeitsausfall beziehen würden.

So war es gemeint.
Auch jetzt, in einer Krankheitsphase, habe ich gearbeitet, mich aber gleichzeitig geschont und in „Denkphasen“ neue Geschichten im Ansatz vorbereitet. In den ABG zu meinen Abo-Bedingungen finden Sie, dass Sie als Abonnent das Abo, das grundsätzlich über 12 Monate läuft, jederzeit kündigen können und den „Überschuss“ ausgezahlt bekommen. Ich benötige den – nennen wir es mal – Abo-Zuschuss nicht, um mir auf Hawaii ein Ferienhaus leisten zu können, sondern um meine Recherchekosten möglichst zu decken. Das sind nicht nur Auto-, Telefon-, die üblichen Bürokosten, sondern auch notwendige Reisekosten.

In der Wikipedia wurde ein Satz mal gestrichen, weil Ihre Seite „ungeeignete Quelle“ sei. Glauben Sie, dass es selbst in der Netzgemeinde bewusste oder unbewusste Geringschätzung gegenüber Seiten abseits der Newsmedien gibt, wenn sie nicht gerade zum Beispiel netzpolitik.org oder bildblog.de heißen?
Das Beispiel ist irgendwie treffend. Auf Wikipedia wurde auf eine Geschichte von mir zum Thema Motorrad-ABS verwiesen. Wer dafür gesorgt hat, dass sie die „Kreise der Gutmeinenden“ nicht stört, weiß ich nicht. Aber es ist ein gutes Beispiel, dass eine qualifizierte Meinung heute nicht gefragt ist. Meinung kann man heute kaufen. Unqualifizierte, die man dann als „Beispiel“ einbringt.

Sie grenzen sich ja sehr oft sehr deutlich ab von den anderen Medien, und geben auch uns manchmal einen mit. Ist das nicht vor allem auch Marketing in eigener Sache?
Marketing ist ein Begriff, der sich z.B. in der Automobilindustrie wie eine ansteckende Krankheit ausbreitet. Ich mag das Marketing nicht, weil deren Fachleute sicherlich gut heute Hundefutter und morgen Waschpulver vermarkten können. Aber von Automobilen hat man da wenig Ahnung. Das macht aber nichts, weil man das Marketing inzwischen öffentlich ernst nimmt. Wenn ich mich von anderen Medien heute oftmals abgrenze, dann deshalb, weil deren „Macher“ auch kaum noch etwas mit dem zu tun haben, was man mal als „Journalisten“ bezeichnet.

Sie zitieren Ihren früheren Chefredakteur bei der „Auto-Zeitung“ mit dem Satz „Manchmal Herr Hahne, müssen Sie doch unter dem leiden, was Sie so alles wissen.“ Als Leser hat man auch manchmal das Gefühl, Ihr Wissen weiterzugeben ist da Ihre Therapie. Ist Ihnen da die Größe Ihrer Leserschaft egal?
Eine Zahl sagt wenig über die Größe aus. Hat jemand Größe, der zwei Meter misst? Eine Geschichte von mir, von der nirgendwo gesprochen wird, ist oftmals die bessere unter denen, über die man gerne diskutiert. Leider ist es oftmals so, dass ich wirklich mit meinen Ideen ein wenig zu früh bin. Wie überhaupt meine Ideen nicht unbedingt zu den Klischees passen, die das Marketing geschaffen hat. Demnach hat z.B. ein sportliches Automobil hart zu sein.

Wegen ihrer investigativen Nürburgring-Berichterstattung mussten Sie zur Empörung Vieler eine Hausdurchsuchung wegen Geheimnisverrats über sich ergehen lassen. In den Kommentaren schreiben Ihnen jetzt Leser, dass Ihre Artikel frei zugänglich sein müssen, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Freut Sie das auch?

Wenn Leser das sagen, haben Sie eigentlich zwar Recht. Ich schreibe ja nicht um meinem Freundeskreis zu vergrößern, sondern um der Zahl der Wissenden und damit Bedeutenden mehr Raum zu geben. Aber diese Leser sagen es nicht, weil sie meinen Geschichten eine große Leserschaft wünschen, sondern, damit sie sie weiterhin kostenlos lesen können. Meine Nürburgring-Geschichten, die von „gestern“ und von „morgen“, werden weiterhin einen größeren Leserkreis haben, also kostenlos in vollem Umfang zu lesen sein. Damit tue ich den Verantwortlichen an diesem Desaster natürlich keinen Gefallen. Und genau darum bleiben die kostenlos.

Es dauerte keine 24 Stunden, bis ein Leser den Einwand brachte, dass auch Ihre anderen Texte ja doch den Weg „ins Freie“ finden. Hat es Sie enttäuscht, so schnell mit einer Kostenlos- und Tricks-Mentalität konfrontiert zu werden?
Mich verwundert die Einstellung nicht. Wir leben in einer Zeit der Kostenlos- und Trick-Mentalität. Und die Leute kommen sich clever vor. Dabei ist ihre Art einfach nur kriminell. Sie schließen Versicherungen in der Absicht ab, sich persönliche Vorteile zu verschaffen, man verstößt gegen die Parkordnung, weil Strafen billiger sind als die Gebühren. Man fährt Automobile, die man sich eigentlich nicht leisten kann, nur um sein Umfeld zu beeindrucken. Man macht Urlaub dort, wo auch andere Urlaub machen. Nicht weil das Urlaub wäre, sondern weil man durch einen solchen Urlaub glänzen kann. Wir leben eigentlich in einer Scheinwelt. Muss ich mich da anpassen?

Nein, Angepasstheit würden Ihnen Ihre Leser sicher auch verübeln. Aber was passiert, wenn Sie Ihnen Ihre Arbeit nicht so honorieren, wie Sie sich das vorstellen? Alles nur ein Vorwand, aufhören zu können?
Ich werde am 18. Januar exakt 80 Jahre alt. Brauche ich da einen Vorwand, um meine berufliche Arbeit einzustellen? Ich mache das, was ich selbst von mir erwarte: Gute Arbeit. Und das so lange, wie mir das möglich ist. Derzeit täglich 16 Stunden von Montag bis Freitag. Mir genügt der Samstag zum Entspannen und der Sonntag zu regenerieren. Ich arbeite nicht, um einmal reich zu sterben, sondern um schuldenfrei und mit dem Gefühl dieses Leben zu verlassen, alles nach bestem Wissen und Gewissen getan zu haben. Vielleicht habe ich versucht mir eine Bedeutung zu geben. – „Motor-Kritik“ mit einem Abo-System zu versehen war unter diesem Gesichtspunkt vielleicht nicht die schlechteste Entscheidung. Als Journalist – nicht als Kaufmann.

Das heißt, der Journalist Wilhelm Hahne will Leser, die die Bedeutung seiner Texte Wert schätzen, ohne dass ihm der Kaufmann Wilhelm Hahne eine Mindestvorgabe macht. Das ist ja auch ein Luxus.

Nein, es ist ein Luxus, sich eine eigene Meinung zu leisten. Zum Beispiel den, „Motor-Kritik“ zu machen, gegen den „Mainstream“ zu schwimmen, sich mit seiner Meinung den Marketing-Experten in den Weg zu stellen, auf „Industrie-Subventionen“ zu verzichten und darauf zu hoffen, dass es ein paar Leser gibt, die diese Art honorieren. Mit 80 Euro im Jahr, wofür man dann – bezogen auf die Anzahl der im Jahr 2012 veröffentlichten Geschichten – weniger als 50 Cent pro Geschichte gezahlt hätte. Wenn Motor-Kritik da kostenpflichtig gewesen wäre. Tatsächlich hat man 15 Jahre nichts gezahlt. – Wenn man das als Ausgangspunkt nimmt sind selbst 50 Cent ein Luxus, den man sich nur leisten sollte, wenn man sich das auch wert ist. Wer gerne den FC Bayern München am 9. Februar gegen den FC Schalke 04 in München spielen sieht, findet bei ebay eine Karte zum Schnäppchenpreis von 100 Euro, gerade gesehen. Warum sollte man da Motor-Kritik für 80 Euro im Jahr abonnieren? Aber jeder Vergleich hinkt irgendwie. Auch der mit der „Hörzu“. Auch der mit der „ADAC-motorwelt“. Motor-Kritik scheint irgendwie unvergleichlich zu sein. Lassen wir's einfach dabei.

Die Fragen stellte Lars Wienand

Autor:
Lars Wienand
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