Koblenz

Anti-Anti-Lanz-Petition gescheitert: Nuhr im Trollturm

Mit der Vorabendshow "Null gewinnt" hatte Dieter Nuhr keine lange TV-Präsenz - und König wird er nach der Absetzung seiner Petition auch absehbar nicht. Archivfoto: ARD / Frank W. Hempel
Mit der Vorabendshow "Null gewinnt" hatte Dieter Nuhr keine lange TV-Präsenz - und König wird er nach der Absetzung seiner Petition auch absehbar nicht. Archiv Foto: ARD / Frank W. Hempel

Öffentlichen Druck gegen Personen per einfachem Maus-Klick? Nach der Petition gegen Markus Lanz hat Dieter Nuhr online zum Kampf aufrufen wollen gegen digitales Mobbing, binäre Erregung und Onlinepetitionswahn. Die Petitionsplattform fand: Unfug – Nuhr in den Trolltrum! Warum er da in diesem Fall richtig ist und wo der eigentliche Nutzen von Petitionen oft liegt.

Lesezeit: 4 Minuten
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Von unserem Redakteur Lars Wienand

Es gibt Menschen, die sehen sich derzeit im gerechten Kampf gegen seichtes öffentlich-rechtliches Fernsehen, und es gibt Menschen, die sich wundern, dass der Moderationsstil eines Südtirolers mehr bewegt als NSA-Affäre oder Vorratsdatenspeicherung. Und dann gibt es noch Dieter Nuhr, der am Sonntag vor seinem Auftritt in Koblenz mit einer Petition gegen Petitionswahn vorgehen wollte und damit prompt gesperrt wurde.

Man könnte meinen, Dieter Nuhr sei seine Kritik ernst. „Jeder kann sich per Tastendruck als Revolutionär fühlen“, schrieb er in seiner gesperrten Petition (Text). „Das führt zur Renaissance des Lynchmobs und zeigt, wohin es führt, wenn sich anonyme Massen in Bewegung setzen.“

Er breitete seine Kritik noch etwas weiter aus. Darüber kann man ernsthaft diskutieren, ebenso über das Einstehen der Massen für vermeintliche Lichtgestalten wie einst bei Guttenberg. Doch Nuhr verkleidet seine Worte in die Forderung, ihn zum guten König zu küren, der entscheidet, wer sich äußern darf und wer nicht. Die Plattform OpenPetition verschob seine Petition deshalb wegen einer Verletzung der Nutzungsbedingungen in den Trollturm, wie das dort heißt. Dort verrotten sonst allzu absurde Petitionen zur Belustigung.

Falls Nuhr nur obrigkeitsstaatliche Kritiker von Partizipation karrikieren wollte, dann ist das zumindest den meisten seiner Leser verborgen geblieben. Darauf deutet auch wenig hin: Zuvor hatte er eine Kolumne gepostet, die mit der Anti-Lanz-Petition ins Gericht ging. Von da hatte Nuhr vielleicht auch die Eingebung – der Text beginnt so: „Es gibt noch nicht genug Petitionen. Warum nicht? Weil es noch keine von mir gibt.“

Am Sonntag gab es dann eine von Nuhr – wenn auch nur kurzzeitig. Wenn es ihm ernst war, hätte er die Satire sein lassen sollen. Der „Stern“ bedauert das Aus, „ein bisschen Ironie wäre in dem Mediengetöse keine schlechte Idee gewesen“. In Petitionsplattformen hat sie aber nichts verloren. Nuhrs Sicht ist da etwas verzerrt:

Gegen Satire ja, mit Satire nein

Die Plattformen sind zwar sogar ein Platz für die Forderung von 12.000 Tierschützern, eine Seite abzuschalten, die viele nicht als Satire erkannt haben. Sie sind aber kein Platz für Satire selbst, wenn Petitionen noch ein wenig Bedeutung behalten sollen. Und deshalb kreideten Kritiker Nuhr auch in den Kommentaren an, dass er „eine der wenigen Möglichkeiten des Bürgers diskreditiert, sich überhaupt noch eine Stimme zu verschaffen“. Er trieb das Spiel dann auch noch so weit, dass er den Link zu einer Pro-Anti-Anti-Lanz-Petition postete:

Die Reaktionen auf seiner Seite haben sich weitgehend gelöst von der Debatte um Sinn, Unsinn und Erfolg dieser Petition, in der mehr als 200.000 Menschen die Absetzung von Markus Lanz nach dessen Interview mit Sara Wagenknecht fordern. Es geht um die Frage, ob vielleicht unsinnige Petitionen ein Grund sind, den Sinn generell anzuzweifeln, es geht darum, ob und welchen Erfolg Petitionen schon hatten.

Nuhr sollte nicht Petitionen kritisieren, denen er damit zugleich noch mehr Bedeutung gibt, sondern allenfalls deren Widerhall. Nicht die Petition nervt, sondern allenfalls die Aufmerksamkeit dafür. Als Medienprofi weiß Nuhr aber auch, wie er in die Öffentlichkeit kommt. Und kann sich ausrechnen, dass eine Petition um einen der präsentesten Köpfe im Fernsehen mehr Resonanz findet als die gegen Vorratsdatenspeicherung. Dafür findet sich die Lanz-Petition von Twitterin @linksgruen aber oft auch nicht im Politikteil, sondern neben dem rasenden Justin Bieber.

Viel über Petitionen sagt auch aus, was WWF-Kampagnenmann Markus Winkler mal offenbarte: „Je mehr Flausch, desto besser – oder es hat einen Rüssel“. Immerhin: Genauso könne aber auch das Thema Regenwaldrettung funktionieren, wenn man persönliche Betroffenheit erreiche. Aber spricht das schon gegen Petitionen?

Nuhr liefert vielleicht immerhin einen weiteren Anstoß zur Debatte um die Zukunft von Petitionen. „Die Onlinepetition ist die Piratenpartei der politischen Werkzeuge geworden“, schreibt ihm ein Nutzer in den Kommentaren. Ein tolles Werkzeug stehe durch inflationäre Nutzung vor dem Suizid. Dazu kommen Fälle, in denen Nutzer so unkritisch wie überzeugt hunderttausendfach inhaltsleeren Nepp zeichnen.

Wie Politiker Petitionen wahrnehmen

Politiker nehmen eine Petition allerdings erst einmal nicht all zu wichtig, so die Politikwissenschaftlerin Kathrin Voss, die die Frage danach Bundestagsabgeordneten gestellt hatte: „Es ist ein Indikator für die öffentliche Meinung, aber auch nicht mehr“, sagte sie auf der Re:Campaign 2013, Fachkonferenz von Nicht-Regierungsorganisationen.

Zunächst wie ein Widerspruch wirkt, was Campact-Vorstand Felix Kolbe dazu sagte: „Die Wirkung wird eher unterschätzt, man kann damit Politik machen.“ Er erklärt aber auch: „Eine Kampagne ist nicht eine Petition, aber eine Petition ist ein guter Startpunkt.“ Organisationen geht es bei Petitionen oft nicht um die Petition an sich. Kolbe: „Erfolg kann vom einer Organisation auch daran gemessen werden, viele Verbreitung zu bekommen, und dann Spender anzuschreiben.“

Für Organisationen mit politischen Anliegen sind Petitionen dann ein niedrigschwelliges Angebot, um Menschen zu finden und zu bündeln, denen ein Anliegen wichtig ist. Wenn die Organisation dann die Kontaktdaten hat, dann kann sie die dazu nutzen, Menschen auch zum Engagement bei Aktionen aufzurufen. Ernst werde es für Politiker, wenn sie Dinge tun, die Menschen sehr wichtig sind. „Dafür sind Petitionen aber noch kein guter Indikator. Deshalb ist es wichtig, zeigen zu können, wenn das nicht reicht, dann können wir auch auf die Straße gehen.“

Bundestags-Petitionsseite „schädlich und gefährlich“

Campact-Chef Kolbe, dessen Seite wie change.org oder avaaz Petitionen anbietet, nennt aus diesem Grund auch die staatlichen Seiten wie die Petitionsplattform des Bundestags „fürchterlich, gefährlich und schädlich“. Die bringen zwar bei einer gewissen Zahl an Unterschriften eine Behandlung im Petitionsausschuss – könnten aber zugleich zur Falle für Anliegen werden: „Die Seiten saugen Engagement auf und halten es fest, weil Unterstützer für die Initiatoren nicht erreichbar sind.“ Fatal bemerkbar gemacht habe sich das bei der Hebammen-Petition, die es 2010 bereits auf mehr als 100.000 Online-Unterzeichner und 200.00 Unterstützer insgesamt brachte. Da waren die Chancen schlecht, mit den von Nuhr kritisierten Returntastendrückerrevolutionär noch mehr zu bewegen.

Autor:
Lars Wienand
(Mail, Google+)