Berlin

Schwindel Datingplattform: Ein Mann erzählt, wie er mit zwölf Frauen-Identitäten Geld machte

Maskerade: "Michelle Apate" ist ein Mann, der nicht erkannt werden will. "Ich schäme mich nicht für das, was ich getan habe, aber ich habe Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben und habe heute Kunden zu betreuen, die damit vielleicht ein Problem hätten." Foto: Lars Wienand
Maskerade: "Michelle Apate" ist ein Mann, der nicht erkannt werden will. "Ich schäme mich nicht für das, was ich getan habe, aber ich habe Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben und habe heute Kunden zu betreuen, die damit vielleicht ein Problem hätten." Foto: Lars Wienand

„Er“ war nicht nur eine „Sie“, er war gleich zwölf. Ein Mann erzählt, wie er als Job mit mehreren falschen Frauenidentitäten auf Datingseiten Männer eingewickelt und zum Teil um Tausende Euro erleichtert hat.

Lesezeit: 5 Minuten
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Aus Berlin berichtet unser Redakteur Lars Wienand

„Michelle Apate“ war angekündigt auf der Internetkonferenz Re:publica in Berlin. Doch dann sagt ein Mann mit tiefer Stimme „Heute ist bad hair day“ und fährt sich zur Bestätigung durch die zerzauste Frauenperücke, die über der Maske vor seinem Gesicht hängt. Michelle Apate ist ein Mann mit frischem Uni-Abschluss in der Tasche und seriös in einem Internetunternehmen tätig. Aber so einfach als Frau durchschaubar wie jetzt als Referent war er nicht immer. Er berichtet verkleidet im Rock und mit Strumpfhaltern aus einer düsteren Ecke des Netzes: Wie man Männer betrügt, die auf der Suche nach Gelegenheiten sind, ihre Frau zu betrügen – und wie die Männer blind sind für Alarmzeichen. Unsere Zeitung hat danach mit dem Mann gesprochen, der nach vier Monaten als bezahlter Internet-Kontaktmarkt-Schreiber ausstieg. „Es ging um echte Menschen, echte Gefühle und echtes Geld.“

Wie kommt man dazu, für Geld auf Kontaktbörsen zu schreiben?

Ein Freund kannte jemanden, der dort gearbeitet hat und hat das vermittelt. Für mich war das ein soziologisches Experiment, ich wollte wissen, wie das läuft. Es gab eine Schulung per Telefon. Und mit zehn Stunden Arbeit pro Woche hatte ich meinen Lebensunterhalt als Student verdient – umsatzabhängig gab es acht bis 21 Euro pro Stunde. Im Team waren zehn Schreiber, acht Frauen und außer mir noch ein Mann, eingeteilt in Schichtpläne, damit immer jemand da war. Stellen werden aber nicht nur über Kontakte vergeben, man kann auch nach IKM-Schreiber suchen und findet Stellen. Der Arbeitgeber wird dann aber dort wohl nicht transparent gemacht.

Und wer steckte bei Ihnen dahinter?

Ein Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, das aus einer bestehenden Plattform eine zweite gemacht hat. Es gibt da auch ein Franchising-System, es kann sich auch schon ab 100 Kunden rechnen, die darauf reinfallen. Damit eine Seite attraktiv ist, braucht sie weibliche Mitglieder, weil das Geld geben Männer zwischen 40 und 70 und arüber hinaus aus. Wer auf Anzeigen für „Heiße Frauen in Deiner Gegend“ klickt, hat hohe Chancen, in einer solchen Falle zu landen.

Wie läuft das dann ab?

Es gibt zeitlich begrenzt kostenlos Zugang, in der der Nutzer dann bearbeitet wird, Kunde zu werden. Und dann kostet jede Minute. Es gibt Kunden, die für einen Monat das 5000-Euro-Paket gekauft haben, um mit Frauen in Kontakt zu kommen. Ich habe zeitweise als zwölf Frauen mit zwölf Männern gleichzeitig geschrieben. Als Frau fragt man sehr früh, woher der Mann ist, schaut auf Karten nach und behauptet dann, aus der Nähe zu sein, eine Autostunde entfernt.

Prostituierte wären da doch günstiger.

Ja, aber mein Gefühl ist, dass es auch um Gefühle geht, darum, sich zu beweisen, darum, eine Affäre aufzubauen.

Die Zuhörer saßen dicht gedrängt auch auf dem Boden, als der frühere Internet-Kontaktmarkt-Schreiber von seiner früheren Arbeit erzählte. Bei der Re:Publica sprechen an 17 Bühnen mehr als 800 Referenten. Foto: Lars Wienand
Die Zuhörer saßen dicht gedrängt auch auf dem Boden, als der frühere Internet-Kontaktmarkt-Schreiber von seiner früheren Arbeit erzählte. Bei der Re:Publica sprechen an 17 Bühnen mehr als 800 Referenten.
Foto: Lars Wienand

Um dann aber in Wahrheit gelinkt zu werden…

Es schreiben echte Menschen, auch wenn es nicht die sind, an die die Leute denken. Es sind Menschen, die sich allen möglichen Mist anschauen und darauf antworten. Ich hatte auch tiefe Gespräche, über den Tod. Ich habe aber auch gelernt, dass viele Männer glauben, ein einfaches Foto ihres unerigierten Geschlechtsteils führt dazu, dass Frauen sich in sie verlieben. Rechtlich ist es auf verschiedene Weisen problematisch. Man sucht sich auch Identitäten aus dem Netz, nimmt Fotos von Amateurpornoseiten und spiegelt die Bilder nur, damit sie bei einer Suche nach dem Bild nicht gefunden werden. In den Geschäftsbedingungen der Seite steht irgendwo auch, dass alle Kontakte gespielt sind, aber das liest keiner und wird anders beworben. Und die IKM-Schreiber schicken Rechnungen an den Chatbesitzer, sind selbst Unternehmer.

Aber es sind doch nicht alle Datingseiten unseriös?

Bei den Großen ist es sicher so, dass die keine bezahlten Schreiber einsetzen. Da gibt es dann höchstens das Risiko, an echte Personen mit falschen Absichten zu geraten. Bei mittelgroßen mit einigen Zehntausend Mitgliedern bin ich mir nicht so sicher. Und bei den jungen Seiten wie Tinder sind die Nutzer gar nicht bereit, Geld zu zahlen.

Gerät man nicht durcheinander, wenn man zwölf Frauen ist und mit etlichen Männern schreibt?

Die Software auf den Rechnern der IKM-Schreiber hat ein Interface, in das Infos aus den Chats gesammelt werden. Man stellt viele Fragen und trägt dann ein. Was da zusammenkommt ist beängstigend. Und von einigen musste ich mir ihr Leben x-fach anhören. Bei zwei Männern hatte ich alle zwölf Profile durch.

Und wie stellt man sich ein Profil zusammen?

Am besten ist es, wenn man für Fragen Fotos einer Frau in verschiedener Kleidung parat hat, das macht es sehr authentisch. Meine liebsten Identitäten waren verheiratete Frauen mit Kindern. Da ist es nicht so schwer, Entschuldigungen zu finden. Der Kunde will ja telefonieren, skypen, sich irgendwann mit einem treffen.

Und dann?

Einige im Team haben mit ihren Identitäten Treffen zugestimmt, zu denen sie dann nicht erschienen sind. Die Kunden in die Pampa zu schicken, ging dem Chef aber zu weit. Die Damen sind dann rausgeflogen. Wenn man ansonsten merkte, dass die Frustration bei einem Mann einsetzte, hat man ihn eben mit einer anderen Identität neu angeschrieben.

Wie lebt man damit?

Ich habe auch meiner Familie davon erzählt. Die haben gelacht, als ich versichert habe, dass es für mich keine Karriereoption ist. Ich habe aber keine Schuldgefühle. Das waren zu 60 Prozent Arschlöcher, frauenverachtende Sexisten, denen ihre Partner und Ehen nichts wert waren. Schlichte Gemüter ebenso wie eigentlich sehr Gebildete und Spitzenmanager. Es gab auch coole Leute, ich hatte bei einigen überlegt, sie zu warnen. Sie schicken einem ja sofort bereitwillig als Vertrauensbeweis alle Kontaktdaten, weil sie im Gegenzug auch welche wollen.

Aber irgendwann war Ihnen das zu viel?

Nach zweieinhalb Monaten habe ich mich immer unwohler gefühlt. Man hat sein echtes Leben, das Leben der Personen, die man spielt, hört aber nicht auf, wenn man vom Computer weg ist, der Job geht im Hintergrund weiter. Und dazu der Druck.

Der Druck?

Es ist der vielleicht neoliberalste Job der Welt. Man selbst ist das Produkt, für das die Leute zahlen, sieht aber davon nur den allergeringsten Teil und macht andere schnell reich. Und alles wird protokolliert und für alle öffentlich gemacht, wer seine Opfer wie viele Minuten im Chat gehalten hat. Und weil alle am Umsatz beteiligt sind, schafft das ein entsetzliches Klima, die Arbeitsbedingungen sind krass. Man kann zuschauen, wie Leute sich darin perfektionieren, andere Menschen zu täuschen.

Fünf Anzeichen, dass ein Kontakt nur gespielt ist

„Michelle Apate“ gibt Hinweise – Anzeichen, dass etwas faul sein könnte bei dem Kontakt:

  • Die Fotos sind perfekt ausgeleuchtet; die allermeisten echten Kontaktsuchenden haben keine professionellen Erotikfotos von sich.
  • Immer wieder Ausreden und Hinhalten, warum es mit einem Treffen nicht klappt.
  • Verweigerung von anderen Kongtaktmöglichkeiten wie Telefon, Skype oder Mail, mit denen für Austausch keine Kosten entstehen.
  • Sie versucht, zuerst seinen Wohnort zu erfragen – um sich dann einen Wohnort in der Nähe auszudenken.
  • Unkritische Frauen: Wenn eine 18-Jährige sich darauf stürzt, einen 60-Jährigen unbedingt kennen lernen zu wollen, sollte das eigentlich misstrauisch stimmen.