Hannover

Ende der Computermesse: CeBIT setzt neuen Schwerpunkt – Digitalisierung statt klassische IT

Im Wandel: Die CeBIT ist 2016 keine Computermesse mehr.
Im Wandel: Die CeBIT ist 2016 keine Computermesse mehr. Foto: dpa

Computermessen waren gestern, die „klassische IT“ ebenfalls. Mehr und mehr berührt die Digitalisierung alle wichtigen Lebensbereiche unserer Gesellschaft. Die CeBIT 2016 macht den Wandel vor – und drängt mit Chips unter die Haut, mit neuem Gewusel in die Wirtschaft und mit dauerhaft vernetzten Dingen, feingetunten Drohnen und digitalisierten Gedanken in neue Sphären.

Lesezeit: 8 Minuten
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Von unseren Redakteuren Jennifer de Luca und Marcus Schwarze

Künftig sollen wir Journalisten die CeBIT nicht mehr als Computermesse bezeichnen. Und auch nicht als IT-Messe. Der Veranstalter wünscht, dass sie als „Messe für die Digitalisierung von Märkten und Branchen“ verstanden wird. Dieses Jahr findet sie vom 14. bis 18. März in Hannover statt. Auf der CeBIT Preview wurde das neue Konzept jetzt vorgestellt.

Biohacker gehen unter die Haut

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Ein der skurrilsten Entwicklungen der Digitalisierung ist, dass zunehmend auch der menschliche Körper mit Chips ausgestattet wird. Das wurde lange Zeit als absurde Merkwürdigkeit einiger weniger verstanden. Auf der CeBIT Preview trat Hannes Sjoblad aus Schweden auf und demonstrierte, was Menschen mittlerweile mit implantierter Technik anstellen.

Vom einfachen Magneten in der Fungerkuppe über merkwürdig-lustige pinkfarbene LED-Leuchten unter der Haut im Unterarm bis hin zum sogenannten Near-Field-Communication- (NFC-)Chip ist alles möglich. Der NFC-Chip funkt dabei im Bereich weniger Zentimeter, ganz ähnlich wie die Techniken Wireless LAN und Blutooth, nur eben nicht so weit. Diese Nahfunktechnik gibt es bereits für Kreditkarten und Zugangskarten etwa fürs Fitnesscenter – und Sjoblad sagte, sein Körper sei nun durch diesen derart zwischen Daumen und Zeigefinger implantierten Chip in der Lage, NFC zu funken. Wenn er in den Fitnessclub tritt, hält er die Hand vor, nicht mehr die Chipkarte. Er hat dafür einfach die diversen NFC-Funktionen der Karten in seine Hand kopiert – und muss nun nur noch die Hand vorhalten, statt die Karte aus dem Portemonnaie zu holen. „Wenn ich das 20 mal am Tag mache, spare ich so ein paar Sekunden“, sagt er.

Der Vortrag von Hannes Sjoblad auf der CeBIT Preview in Hannover:

CeBIT Preview 2016

Posted by Marcus Schwarze on Wednesday, January 20, 2016

„Human upgrade technology“ nennt der Schwede dies, menschliche Erweiterungstechnik. Die Möglichkeiten sind nach seinen Worten noch ganz am Anfang. Ihm schweben beispielsweise Hörhilfen vor, die wie ein Richtmikrofon fungieren. Oder die „Zähne als Server-Rack“, in denen also Miniaturchips implantiert werden könnten, die auch den menschlichen Körper überwachen. Gruselig? „Die größte Gefahr ist, dass man kopiert wird“, sagt der Schwede. Und bittet nach dem Interview, dass die gefilmten persönlichen Daten, die drahtlos aus seiner Hand aufs Telefondisplay übertragen wurden, nachträglich verpixelt werden sollen. Man weiß ja nie.

Drohnen verlieren ihren Schrecken und werden nützlich

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Weniger skurril, sondern sehr konkret werden mehr und mehr die nützlichen Anwendungen für Drohnen. Nicht mehr nur zu Freizeitzwecken, sondern auch in Wirtschaft und Wissenschaft werden Drohnen eingesetzt – mal mit, mal ohne Kamera. Beispielsweise in der Logistik, wo Pakete ausgeflogen werden könnten oder wo Drohnen der Erfassung von Warenbeständen in großen Hallen dienen. Auch in der Landwirtschaft, in der Erfassung von Geodaten oder bei Rettungsaktionen ist der Einsatz von Drohnen vielfältig geworden. So werden sie zum Beispiel zur Ortung vor Tieren in Feldern eingesetzt, bevor Mähdrescher zum Einsatz kommen. Mit zuvor aus der Luft aufgenommenem Kartenmaterial kann gezielt befallenes Getreide mit Pflanzenschutzmitteln bespritzt werden. Dank fortschreitender Kameratechnik können Energieanlagen und Dächer präzise per Drohne abgeflogen und gewartet werden, Feuerwehrleute schicken Kameradrohnen zur Erstellung von Livebildern aus brennenden Häusern in den Qualm.

Bei all den Einsatzmöglichkeiten wollen die Piloten das Thema Sicherheit allerdings nicht vernachlässigen. „Man muss ein Bewusstsein für das Risiko entwickeln und damit entsprechend umgehen“, sagt Frank Wernecke von Dronemasters aus Berlin. „Alle Beteiligten müssen an Bord geholt werden und das Thema Sicherheit aufarbeiten.“ Die EU treibt derzeit eine Regulierung des Lauftraums an, wonach es neue Regeln für den Einsatz von Drohnen, bis hin zu einem Führerschein für Drohnenpiloten geben könnte.

Die Dronemasters werden auf der CeBIT in Halle 16 zu finden sein. Dort wird es neben den Ausstellungen von Firmen und Universitätseinrichtungen auch Konferenzen und einen besonders publikumsträchtigen Teil geben: Geplant sind Flugshows und Drohnenrennen.

Spaß in der Stadt und beim Sport

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Die Erfinder von „ActiWait“ wollen den urbanen Raum verändern und verbessern – zum Beispiel mit ihrem smarten Ampeltaster. Der wird in den normalen Ampeltaster an Fußgängerampeln integriert und per Touchscreen gesteuert. Fußgänger auf beiden Seiten der Ampeln können bei Rotphasen gegeneinander spielen, und natürlich ist das Gerät zur Erweiterung von Applikationen auch mit dem Internet verbunden. Ausprobieren kann man ActiWait in Oberhausen – interessiert seien aber vor allem Städte aus dem Ausland, sagen die Entwickler von der Firma Urban Invention.

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Mit dem Assistenzsystem “Climbtrack” können per 3-D-Kamera und Projektor Umgebungen gescannt und projiziert werden. Kletterer können zum Beispiel Routen scannen und durch anschließende Projektion eines Schattens nachklettern. Das System ist auf jegliche Übungen im Sport- oder Gesundheitsbereich einsetzbar, der Prototyp wird derzeit weiterentwickelt.

Deutsche Startups können durchaus mitmischen

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Der Bundesverband Deutsche Startups engagiert sich laut Satzung als Repräsentant und Stimme für ein gründerfreundliches Deutschland. Im RZ-Interview auf der CeBIT Preview erklärt Christian Tegge vom Verein, dass deutsche Startups durchaus mit Gründern aus anderen Ländern mithalten können. „Wir sind gut aufgestellt in Deutschland, die Konzerne sind aufmerksam auf der Suche und auch ausländische Investoren schauen sich bei uns um“, sagt er.

Große Themen bei Startups sind aktuell „Fintec“, „Artificial Intelligence“ und „Robotics“. Damit gemeint sind die die Digitalisierung der Finanzbranche, künstliche Intelligenz und der Einsatz von Robotern. Großes Interesse bei Investoren wecken außerdem Startups, die sich mit dem Thema „Digital Health“ beschäftigen. Sogenannte Wearables sind tragbare Minicomputer wie zum Beispiel computerisierte Uhren. Das Interesse steigt auch bei Gesundheits-Apps und digitalen Services bei Ärzten und Krankenkassen. Daneben überschwemmen neue Anwendungen zur Kontrolle des eigenen Hauses den Markt.

Tegge gibt jungen Leuten, die gründen wollen mit auf den Weg: „Habt Mut, geht raus mit eurer Idee, holt euch Feedback und netzwerkt!“ Klar könne auch mal was schief gehen bei einer Gründung oder Entwicklung, „aber dann sollte man aufstehen und weitermachen”, sagt er.

Die Deutsche Bahn küsst nicht mehr nur Puffer

Volker Kefer.
Volker Kefer.
Foto: dpa

150 Jahre lang haben die Mitarbeiter der Deutschen Bahn „Puffer geküsst”, wie Volker Kefer sagte, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn. Der gebürtige Koblenzer stellte in Hannover einen Teil des Programms vor, mit dem sich das Unternehmen auf die Digitalisierung einstellt. „Wir wollen uns ein Stück weit ändern. Die Digitalisierung wird unser Geschäft massiv verändern”, kündigte Kefer an. Mit Daten Geschäfte zu generieren, ist dabei der Kern.

Die Basis dafür bilden nach seinen Worten fünf Millionen Reisende am Tag. Sie unternehmen täglich 25.000 Zugfahrten. Rund 300.000 bis 400.000 Besucher täglich zählt die Bahn an ihren 5400 Bahnhöfen in Deutschland. Dafür stehen unter anderem 70.000 Weichen an Technik bereit, die jährlich eine Milliarde Stellbewegungen vornehmen – und wehe, eine schaltet falsch: „Wenn sie zehn Zugfahrten machen und eine davon geht schief, reden Sie anschließend über diese eine schiefgegangene Fahrt, nicht über die neun anderen problemlosen“, sagte Kefer. Ein Ziel ist daher, die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Weichen besser vorherzusagen. Und dafür investiert man bei der Bahn in Messtechnik, die die Geräusche und Trägheit der Weichen beim Verstellen der Richtung aufzeichnet. Zu viele Quietschgeräusche aus einer Weiche rufen dann schon bald den Bahnarbeiter auf den Plan – und zwar nicht erst dann, wenn die Weiche streikt.

Getrieben wird die Bahn dabei nicht nur von ihren Kunden. Ein Treibstoff ist das kommende selbstfahrende Auto. „Wir stehen unter Druck, unsere Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln, sobald das autonome Fahren kommt“, sagte Kefer. Sobald mehr und Autos sich selbst ans Ziel steuern können, entfällt ein großer Vorteil der Bahn heute: dass Nutzer während der Fahrt arbeiten oder sich unterhalten können.

Um solche Entwicklungen voranzutreiben, hat die Bahn ein eigenes Labor eingerichtet. In der „Mindbox“ werden junge Leute, Startups, „Nerds“ ermuntert, neue Anwendungen aus der Vielzahl an Bahndaten zu erfinden. Auf ihrem Portal http://data.deutschebahn.com/ stellt die Bahn mehr und mehr Datensätze aus ihrem Alltagsbetrieb für die Öffentlichkeit und zur Nutzung durch andere bereit. Die Bahn unterhält dafür laut Kefer eigene Leute – und zwar zum Übersetzen der Vorschläge aus der Welt der Nerds in eine Sprache, die der Konzern versteht. So steht dann vielleicht „Bahn kommt pünktlich“ künftig in einer neuen App, wo der gemeine Bahnmitarbeiter intern es so formuliert, der IC habe den Puffer geküsst.

Freies Schreiben in der Luft

Mit einer Handbewegung in der Luft lassen sich Menüpunkte auf dem Schirm auswählen. Der Computer erkennt die Bewegung mit Hilfe des Armreifs.
Mit einer Handbewegung in der Luft lassen sich Menüpunkte auf dem Schirm auswählen. Der Computer erkennt die Bewegung mit Hilfe des Armreifs.
Foto: Schwarze

Die Faust drehen, und irgend etwas passiert – Geräteinteraktion ohne Berühren und Tippen zeigt das Karlsruher Institut für Technologie. Da schreibt dann ein Anwender mit der Hand in der freien Luft Wörter auf eine gedachte Wand. Oder er dreht die Hand vor dem Bildschirm und wählt so den nächsten Menüpunkt aus. Möglich macht das ein Armband, das die Bewegungen übersetzt.

Voxr digitalisiert Kommentare auf Veranstaltungen

Manche Anwendungen der Digitalisierung wirken dabei so schlicht, dass man sich fragt, warum sie nicht schon längst erfunden wurden. Tim Schlüter zeigt mit seinem Dienst voxr.org eine Anwendung für Moderatoren von Veranstaltungen. Wenn Hunderte von Zuschauern bei einer Podiumsdiskussion nicht zu Wort kommen, kann seine Software die Fragen aus dem Publikum kanalisieren. Über eine angezeigte Webadresse formulieren die Zuschauer auf ihrem Handy ihre Fragen und Kommentare – und die Software visualisiert in Sekundenschnelle häufig vorkommende Wörter. So kann der Moderator in einer automatisch hergestellten Wortwolke auf seinem iPad auf dem Podium die Resonanz aus dem Publikum erfassen.

Microsoft zeigt nicht mehr nur das neueste Windows, sondern Grundsätzliches

Das CeBIT-Motto 2016 bei Microsoft: „Digitales Wirtschaftswunder“ – mit Symbolen für (digitalisierte) Mechanik, Sicherheit und Emotionen.
Das CeBIT-Motto 2016 bei Microsoft: „Digitales Wirtschaftswunder“ – mit Symbolen für (digitalisierte) Mechanik, Sicherheit und Emotionen.
Foto: Microsoft

Platzhirsch Microsoft propagiert auf der CeBIT das „digitale Wirtschaftswunder“. Microsoft will gemeinsam mit sogenannten „Wirtschaftswundermachern“ zeigen, wie sich Infrastruktur, Organisation, Team, Mitarbeiter, Wissen, Produktion und Staat optimal aufstellen, um die digitale Transformation zu meistern. Dazu werden als Partner unterschiedliche Unternehmen, Bildungsorganisationen, Verwaltungen und nichtstaatliche Organisationen an konkreten Projekten auf der Messe präsentieren.

Sieben Voraussetzungen müssen laut Sabine Bendiek, neue Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, gegeben sein, damit ein Unternehmen fit für den digitalen Wandel ist:

  • Die technische Infrastruktur muss sicher und agil sein. Daten werden in der Cloud gespeichert, dafür will Microsoft mit einem deutschen Treuhänder arbeiten.
  • Die Organisation muss lebendig und weitgehend hierarchielos arbeiten.
  • Ein Team für eine Aufgabe muss möglichst autonom und flexibel vorgehen können.
  • Mitarbeiter müssen persönlich und mobil zu Werke gehen können.
  • Wissen muss transparent und allseits verfügbar sein.
  • Die Produktion muss vernetzt und smart vonstatten gehen.
  • Auch der Staat muss souverän und beweglich sein.

Man höre und staune: Es geht nicht mehr im Wesentlichen um das neueste Windows in der nächsten Version, sondern um die gesellschaftliche Weiterentwicklung. Wenn Microsoft also nicht mehr das nächste Betriebssystem für Computer, Smartphones und Co. vorstellt, was dann? Im Grunde geht es um das künftige Betriebssystem der Gesellschaft.