Berlin

10 Mittel gegen „Spähradikale“: Re:publica sucht Wege, das Netz zu retten

Sascha Lobo auf den Bildschirmen: Das freie Internet ist den Nutzern zu wenig wert, kritisierte er. Foto: Lars Wienand
Sascha Lobo auf den Bildschirmen: Das freie Internet ist den Nutzern zu wenig wert, kritisierte er. Foto: Lars Wienand

Fast ein Jahr nach den Enthüllungen von Edward Snowden könnten Netzaktivisten verzweifeln: Wie nimmt man es auf mit Geheimdiensten, die einfach weitermachen, mit Politik, die das duldet und einer Bevölkerung, die das Thema nervt? Auf der Re:publica werden Wege gesucht. Einer kam nicht so gut an.

Lesezeit: 4 Minuten
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Von unserem Redakteur Lars Wienand

Sie treibt der Gedanke, dass es das nicht gewesen kann. Vorträge bei der Re:publica zeigten verschiedene Wege auf – lässt sich so der fast totalen Überwachung im Netz doch noch etwas entgegensetzen? Sie nennen es Netzoptimismus.

1. Strukturen stärken: Es lässt sich schlecht kämpfen mit Ehrenamtlichen, die ihre Empörung an ihre Filterblase weitertwittern. Mehr Geld muss her, Vereine wie Digitale Gesellschaft und Netzpolitik seien dramatisch unterfinanziert. „Ihr twittert, aber Ihr überweist nicht“, warf Sascha Lobo seinen Zuhörern vor. Lobo führt das ins Absurde: Der bayerische Landesbund für Vogelschutz, 2013 mit einer Kampagen für eine Schnepfenart in der Öffentlichkeit, hat 120 Mitarbeiter, rechnet er vor. „Und Euch ist das Internet nichts wert.“ Allerdings brauchen die Netzlobbyisten auch selbst bessere Vermarktung: Kampagnenseiten wie Avaaz, die ohne eigenen Aufwand Anliegen anderer eine Plattform geben, schaffen es so immer wieder, große Summen zu sammeln. Geld sei notwendig, um dauerhaft und nachhaltig Wirkung zu erzielen.

2. Neue Begriffe finden: „Wir müssen die Geheimdienste diskreditieren“, riet Sascha Lobo, der seit Monaten seine Kolumne bei Spiegel online nur dem Thema widmet. Er sprach von „Spitzelangriffen“ durch „Spähradikale“ – „Radikale, das sind sie, antidemokratisch und sicherheitsfeindlich.“ Aber auch die wollten Anerkennung. Lobos Vorschlag ist die Zuspitzung einer weiteren Idee:

3. Neue Geschichten finden: Von gut 1000 Befragten im ZDF­-Politbarometer nennt keiner Netzpolitik als drängendstes Thema – weil es nicht entsprechend aufgeladen ist, meinte Autor Friedemann Karig. „Datenschutz, Privatsphäre – alte unsexy Begriffe. Wir müssen unsere Alpträume updaten, Munition gegen Überwachung finden“. Er führte Studien an, die belegen, dass Überwachung die Menschen konformistischer macht, weniger kreativ, verletzlicher, mit Überwachung auch Aggressivität zunimmt, dass es um Macht und Kontrolle und nicht um Sicherheit geht. „Es richtet messbaren Schaden an uns und der Gesellschaft an.“ Das zu transportieren müsse Ziel sein – und alte Bilder zu demontieren: „Mit einem „Ich habe nichts zu verbergen“ kann ich mich vermeintlich zurücklehnen und muss mich nicht damit beschäftigen.“

4. Schutz plausibel machen: Wie kämpfe ich gegen die Seuche Überwachung? Etwa mit bewährten Rezepten zur Sensibilisierung – Motto: Safer Surfen ist so notwendig wie Safer Sex. Jacob Applebaum, Journalist und einer der Köpfe des Tor-Netzwerks für Anoynmität im Netz, verkehrt im Netz nur noch mit Menschen, die sich dort schützen – weil er auch keine anderen gefährden will. „Von den Aids-Kampagnen für sicheren Sex könne man einiges abschauen. „Da war die Haltung zunächst, es gehe nur Schwule an. Jetzt meinen viele, es gehe nur Terroristen an.“ Eine arrogante Haltung sei das: Niemand wisse etwa, welche Bedeutung jetzt anfallende Daten später einmal haben könnten. Und mit Jedem, der sich Schutz einrichte, werde das mehr zur Normalität.

5.. Schutz einfach machen: Unter den Zuhörern seien „alle keine Biologen, aber ihr könnt wunderbaren geschützten Sex haben“. Ein Kondom zu installieren sei sicher einfacher – und deshalb müsse es leicht gemacht werden, auch seine Daten zu schützen. Die direkte Ansprache an Softwaredesigner: „Einfacher, leicht zu benutzende Programme zum Schutz sind der schlimmste Alptraum krimineller Spione.“ Ab einem gewissen Anteil verschlüsselter Kommunikation verliert Überwachung ihren Sinn.

6. Verbündete finden in der Politik: Lobo hat den Glauben an Aufklärungswillen bei Merkel aufgegeben. „Die haben wir als Adressaten verloren.“ Also müsse man der SPD „helfen, auf dem richtigen Weg zu bleiben. Und wenn Ihr das Mittel der sanften Beschimpfung für angemessen haltet, dann tut das.“ Wieder mahnt Lobo aber, auch den digitalen Raum zu verlassen, besser auch mal Sprechstunden von Abgeordneten zu besuchen.

7. Verbündete finden in der Wirtschaft: Grundrechtsthemen müssen mit der ökonomischen Welt in Einklang gebracht werden, sagt Lobo. Neu ist das nicht: Wenn die Kunden den Internetkonzernen nicht mehr vertrauen, müssen die was tun. „Mit jedem Schlag auf Netzkonzerne wird der Drück über Bande auf die Politik erhöht.“

8. Neues Publikum finden: Medienpädagoge Daniel Seitz berichtete von zahlreichen Gesprächen mit Jugendlichen.: viel Kontakt mit YouTube, aber dort und auch sonst kaum Kontakt mit dem Thema Überwachung. Weil Medienbildung in der Schule Querschnittaufgabe sei, komme sie nirgendwo richtig vor. Die Bildungseinrichtungen seien gefordert. Und anders als beim Thema Acta beteiligten sich jetzt YouTuber kaum. Applebaum lieferte mit einem gerappten Video zum Thema ein eindrucksvolles Gegenbeispiel aus den USA:

Applebaum richtete sich auch an die Künstler und Autoren: In den USA sei der Naturschutzgedanke populär geworden durch die Figur eines Kinderbuchautors.

9. Selbst Politik machen: „Mittelfristig führt nichts am Marsch in die Institutionen vorbei, auch wenn das öde ist“. Er hat sich schon mal die Adressen netzgemeinde.de und „internetministerium.de“ gesichert – als „Drohung“ in beide Richtungen.

10. Manifeste verfassen: Auf der Konferenz wurde es vielfach eher als Werbeveranstaltung aufgenommen: Eine finnische Sicherheitsfirma hatte David Hasselhoff mitgebracht. Er, der sich „schon immer für Freiheit einsetzt“ (Grummeln im Saal) war eine Art Maskottchen zur Vorstellung eines „Manifests für digitale Freiheit“, das erst noch geschrieben werden soll. Wer mitschreibt, sollte zum Abschicken auch ein Feld ausfüllen, welche Firma sich da für Sicherheit engagiert ...

Autor:
Lars Wienand
(Mail, Google+)