Von Cosplay bis Retro: Bei der Gamescom feiert sich die Szene selbst [mit Video]

Gamescom Nachbericht für Montag Foto: Marta Fröhlich

Laut, grell, riesig: Wer die Gamescom als Noob, also als Neuling, betritt, muss erst mal tief durchatmen. Elf Hallen, fast jede so groß wie ein Fußballfeld, warten vollgestopft mit Leinwänden, Monitoren, Lichtanlagen, auf neugierige Besucher. Überall dröhnen tiefe Bässe aus Lautsprechern, Bildschirme und LED-Lichter blinken und funkeln um die Wette, Menschenmassen drängen sich durch enge Gänge, Körperkontakt ist programmiert. Wer nicht aufpasst, läuft entweder in ein Handy, das gerade zum Selfie in die Luft gereckt wird, oder er stolpert einem Fantasy-Monster direkt in die Krallen.

Lesezeit: 6 Minuten
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Marta Fröhlich hat die Szene auf der Kölner Messe 
Gamescom beobachtet und beschäftigt sich in einer fünfteiligen Serie mit Computerspielen (2/5)

Die größte Spielemesse der Welt ist zu Beginn vor allem erst mal eines: pure Überforderung. Und doch lohnt sich ein Moment des Innehaltens, um zu verstehen, was hier in Köln fünf Tage im Jahr vor sich geht. Die Gamer-Szene kämpft seit jeher mit dem Ruf, entweder aus lauter Nerds oder Kindern zu bestehen, die nichts Besseres zu tun haben, als den ganzen Tag nur stumpf vor dem PC zu sitzen und zu daddeln. Schaut man sich jedoch auf der Gamescom um, die jedes Jahr mit Besucherzahlen bis zu einer halben Million aufwartet, stellt man fest: Vom fünfjährigen Pokémon-Fan bis zum 60-jährigen Indie-Spieler ist im Publikum alles vertreten. Die Gamer-Szene bildet mittlerweile den Querschnitt der Gesellschaft ab. Das hat auch die Industrie erkannt und fährt auf der Gamescom mächtig auf. Vor allem die Blockbuster-Konzerne wie Blizzard oder EA besetzen ganze Hallen mit ihren Bombast-Messeständen, an denen Dutzende, ja Hunderte Besucher gleichzeitig neue Spiele anzocken können – wenn sie denn genug Sitzfleisch haben.

Geduld zahlt sich aus

Denn schnell geht hier auf der Gamescom an den Publikumstagen von Donnerstag bis Sonntag gar nichts. Das liebste Accessoire des Gamescom-Besuchers ist der Campingstuhl. Um zum Beispiel den neuen Teil der Spielereihe „Battlefield“ eine halbe Stunde lang zu spielen, müssen die Neugierigen Wartezeiten von bis zu acht Stunden in Kauf nehmen. Und so lenken sich viele mit der Lektüre dicker Romanwälzer ab, während es im Halbstundentakt zäh vorwärtsgeht. Andere vertreiben sich die Zeit mit – na klar – einem kleinen Spielchen auf dem Smartphone. Denn kaum einer hier hat nicht das WWW in der Hosentasche. Das Handy gehört zur festen Ausrüstung, um Schnappschüsse, Selfies oder Fotos von mit Eifer ergatterten Goodies, die von den Messebühnen fliegen, direkt zu teilen – entweder über die Gamescom-App oder in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Snapchat, immer mit dem passenden Hashtag.

Im besonderen Fokus der Normalos unter den Besuchern, die in Turnschuhen, Jeans und Merchandise-T-Shirt von Spielen oder Entwicklern durch die Hallen schlendern, stehen die Cosplayer. Sie sind die bunten Schmucksteine in der anonymen Masse der Hundertausenden Gamescom-Besucher. Das Wort Cosplay setzt sich zusammen aus den Begriffen Costume und Play und entstammt ursprünglich einem japanischen Verkleidungstrend aus dem Manga- und Animegenre. Doch darüber ist das Cosplay in den USA und Europa schon lang hinausgewachsen. Heute orientiert sich Cosplay auch an Kinofilmen, Computerspielen oder Comics jenseits des Anime und zeigt so die enge Verstrickung der Gaming-Szene mit anderen Medien. Cosplayer investieren viel Zeit und Mühe, um Kostüme ihrer Idole oder spannender Figuren nachzubauen. Sie nähen, basteln, werkeln wochen- oder monatelang. Es werden meterlange Puschelschwänze gebastelt, LEDs in Masken verbaut, Ganzkörperlederkluften genäht oder riesige Flügel drapiert. Natürlich gibt es mittlerweile auch Shops im Netz, in denen man sich mit Cosplay-Kostümen, Accessoires und Zubehör ausstatten kann. „Doch man trägt es mit einer ganz anderen Haltung, wenn man es selbst gemacht hat“, erklärt eine Besucherin, die aus Berlin eigens für die Gamescom angereist ist.

Walk Like an Egyptian

Wenn Anhänger selbst erklären sollen, was Cosplay bedeutet, kommt direkt ein Satz wie aus der Pistole geschossen: Es hat absolut nichts mit Karneval zu tun. Denn zum Cosplay gehört auch, dass man nicht nur möglichst originalgetreu aussieht, sondern sich auch so bewegt und die Attitüde der dargestellten Figur versteht. Diese Leistung stößt auf großen Respekt bei anderen Gamern. Die Cosplayer werden auf Messen wie der Gamescom bewundert und permanent fotografiert. Manch einer lässt sich dazu hinreißen, nach einer Umarmung oder nach einem Selfie zu fragen. Cosplay gehört untrennbar zur Gaming-Szene dazu.

Hunderttausende Spielefans pilgern 
nach Köln – Von Cosplay bis Retro: Vielfalt 
prägt die Gaming-Welt

Marta Fröhlich

Hunderttausende Spielefans pilgern 
nach Köln – Von Cosplay bis Retro: Vielfalt 
prägt die Gaming-Welt

Marta Fröhlich

Hunderttausende Spielefans pilgern 
nach Köln – Von Cosplay bis Retro: Vielfalt 
prägt die Gaming-Welt

Marta Fröhlich

Ein anderes Phänomen, welches für die Szene immer wichtiger wird, sind die sogenannten E-Sports. Dabei werden Turniere in einem bestimmten Spiel ausgetragen, Teams duellieren sich und zocken teils um hohe Beträge. Auf der diesjährigen Gamescom finden Regionalmeisterschaften des Spiels „Heroes of the Storm (Hots)“ statt, das zu der Kategorie der Mobas gehört. „Hots“ ist ein Multiplayer-Online-Battle-Arena-Spiel, in dem zwei Teams versuchen, jeweils die gegnerische Base, also das Basislager zu erobern. Teams wie Fnatic oder die Misfits gehören zu den erfolgreichsten weltweit, arbeiten mit Trainern und Managern zusammen und können sogar mittlerweile von E-Sports leben. Denn Profispieler können auf Turnieren gutes Geld verdienen.

Auf der Gamescom in Köln gibt es insgesamt 100 000 Dollar und die Qualifikation für das große Finale in den USA zu gewinnen, bei dem sogar 1 Million Dollar Preisgeld ausgeschrieben sind. Die Spiele werden von professionellen Moderatoren begleitet, die vor Ort in der Halle die Stimmung anheizen. Und die ist am Freitag auf dem Siedepunkt, als sich die oben genannten Teams im Semifinal duellieren.

Die Stimmung bei E-Sports kocht

Die Sitzreihen sind dicht besetzt, Applaus schallt bei erfolgreichen Zügen der Lieblingsmannschaft durch die Halle, während die jeweils fünf Spieler einer Mannschaft, unter dicken Kopfhörern in tiefen Sitzen versunken, um den Einzug ins Finale kämpfen. Die Zuschauer starren gebannt auf die riesigen Monitore, auf denen die Matches übertragen werden. Die Luft brennt.

Eine Etage höher geht es deutlich entspannter zu. Dort, in der Halle „Family and Friends“ finden jene, denen der Trubel in den Ausstellungshallen zu viel wurde, bequeme Sitzsäcke, und nicht nur einen packt im Flätzmodus der Schlaf mitten im Getümmel. Unterdessen toben sich die jüngeren Besucher sozusagen 1.0, also analog aus. Denn hier können sie in Inlineskates eine Halfpipe raufdonnern oder an Tischtennisplatten einen Schaumstoffball mit dem Kopf übers Netz befördern. Nebenan daddeln die Eltern in der Retrogames-Zone an alten Arcade-Automaten und jagen „Space Invadors“ oder im „Mario Kart“ über die Röhrenfernseher. Aber auch das jüngere Publikum lässt die nostalgischen Geräte nicht links liegen und zockt sich mit einem Grinsen im Gesicht bis an die Ursprünge der Computerspiele zurück. Da müssen die alten Joysticks und C64-Tastaturen eine Menge einstecken, bringen dabei sichtlich umso mehr Spaß. Zwar sind Spiele der Gaming-Neuzeit heute hochkomplexe Gebilde aus extrem vielseitiger Steuerung, detailreicher Grafik und Akustik oder sogar – wie der aktuelle Megatrend virtuelle Realität beweist – täuschend nah am echten Leben. Doch die Retrogames bestechen in einem Revival durch ihren Pixelcharme, dudelige Mididatei-Mucke und eine simple Spielmechanik. Das sichert den Zugang für alle Generationen. Im Gegensatz zu den dicht besetzten anonymen Testerreihen im Erdgeschoss herrscht hier Spielfreude im Miteinander vor.

Klein und fein – die Indie-Games

Dass Klein auch Fein sein kann, beweisen auch die Indie-Games. Sie gelten als die kreative Keimzelle der Spieleindustrie. Die kleinen Spieleentwickler stecken sichtlich viel Mühe und Liebe in ihre Produkte abseits des großen Kommerzes und entwickeln Spiele, die mal quer gedacht, mal skurril, mal berührend daherkommen. Dementsprechend kleiner, aber auch charmanter fallen ihre Messestände auf der Gamescom aus. Keine LED-Leinwände, keine Bassanlagen, sondern Flachbildschirme im Wohnzimmerformat und handgeschriebene Zettel laden zum Ausprobieren ein. Dass man hier keine acht Stunden, sondern acht Minuten anstehen muss, ist dem Spielspaß absolut zuträglich. Wer nach all dem bunten Gedaddel noch Luft hat, knipst im Selfie Park noch rasch ein Foto. Wie in einem kleinen Märchenwald bieten Verzerrspiegel, überdimensionale Blumen oder Zwerge Kulissen für das Selbstporträt der besonderen Art. Ein Rundgang auf der Gamescom ist wahrlich kein Zuckerschlecken, macht aber deutlich, wie bunt und vielfältig die Gaming-Szene ist. Tausende Menschen treffen sich hier, um ihr liebstes Hobby, das sie mit Leidenschaft betreiben, miteinander zu teilen, ihre Stars zu treffen und ihre Szene zu feiern. Eine Szene, die aus dem Alltag vor allem, aber nicht nur junger Menschen nicht mehr wegzudenken ist.

  • Die bisher erschienenen Teile unserer Gaming-Serie finden Sie hier.