Wildecker Herzbuben im Interview: Warum schunkeln wir gern?

Wildecker Herzbuben
Schwergewichte der Volksmusik: Die Wildecker Herzbuben. Foto: Bodo Schackow

Wer „gemütlich“ sagt, der denkt an schunkeln, an weinselige Stimmung – und gerade im Bereich der Volksmusik gibt es zwei Spezialisten, die geradezu zum Synonym für „Gemütlichkeit“ geworden sind: die Wildecker Herzbuben. Ihre große Zeit hatten Wolfgang Schwalm und Wilfried Gliem mit ihrem Hit „Herzilein“. Ein gemütliches Gespräch im Frühjahr 2006.

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Sind Sie beide gemütliche Typen?

Wilfried Gliem: Äußerlich ganz sicher. Und ich glaube, dass Wolfgang in seinem Inneren auch ein sehr gemütlicher Typ ist. Ich hingegen neige dazu, schon mal cholerisch zu sein.

Wie würden Sie Gemütlichkeit definieren?

Wolfgang Schwalm: Ganz einfach: In der Ruhe liegt die Kraft. Und man sieht einem Menschen fast an, ob er gemütlich ist oder nicht.

Gliem: Man sagt dem Deutschen ja dieses weinselige Feiern nach, zusammen Freude haben, zusammensitzen... Die Gemütlichkeit, die wir beide verkörpern wollen oder sollen, ist eher diese Schunkel-Stimmung.

Warum ist Gemütlichkeit so etwas typisch Deutsches, dass andere Sprachen sogar das Wort übernommen haben?

Gliem: Ich denke, dass das daher kommt, dass wir in Deutschland diese großen Feste haben, die es sonst auf der Welt nicht gibt – das Oktoberfest in München, den Canstatter Wasen, wo dann eben geschunkelt wird. Das ist die deutsche, unsere ganz spezielle Gemütlichkeit. Aber ich denke, dass es Gemütlichkeit auf der ganzen Welt gibt. Danach sehnt sich das menschliche Wesen! Und deshalb ist Gemütlichkeit überall da angesagt, wo Menschen zusammen fröhlich sind und sich wohlfühlen.

Ist Gemütlichkeit auch Trägheit?

Gliem: Nein, das hat gar nichts damit zu tun. Gut – unser Gespräch zeigt gerade, wie dehnbar dieser Begriff ist. Natürlich ist ein gemütlicher Mensch auch langsam...

Schwalm: ... ja, aber Trägheit meint ja eher Faulheit. Und das ist etwas anderes.

Gemütsruhe?

Schwalm: Ja, schon eher!

Wie sieht Ihr gemütlicher Sonntag aus?

Schwalm: Ich weiß nicht, wann es den letzten gegeben hat... (lacht) Also ich stelle mir vor, ein bisschen länger zu schlafen. Obwohl ich nicht der Typ bin, der bis mittags im Bett bleibt. Dann gemütlich aufstehen, mit meiner Frau gemeinsam frühstücken. Ob man dann auch noch zusammen mittagessen muss, kommt auf die Ausdehnung des Frühstücks an... Und nachmittags stell ich mir vor, mich mit meinem Frauchen in den Wintergarten zu setzen, sich etwas zu erzählen, zu lesen, Musik zu hören... Und das bis in den Abend...

Ist Volksmusik gemütlich?

Schwalm: Volksmusik? (zögert) Eigentlich ja! Doch ja! Sonst wäre sie auch nicht so beliebt, sagen wir es mal so. Hätten Sie mich auch gefragt, ob Rock oder Pop gemütlich sind?

Nein.

Schwalm: Sehen Sie!

Obwohl: Gerade Kuschelrock ist doch auch was fürs Gemüt!

Schwalm: Gut, okay.

Gliem: Ja, stopp – jetzt sind wir aber an einem Punkt angekommen, wo wir uns von der Gemütlichkeit, für die wir stehen, entfernen. Natürlich kann es auch bei Rock und Pop gemütlich zugehen. Entscheidend ist, dass die Musik nicht nervt, sonst ist es mit der Gemütlichkeit vorbei. Das gilt auch für die Volksmusik. Gemütlichkeit verbindet sich immer mit einer Situation; da kann es selbst bei Marschmusik oder einer Polka gemütlich sein. Obwohl das ja eigentlich eine Musik ist, die einen anfeuert und nicht einschläfert.

Warum schunkeln Menschen eigentlich so gern?

Schwalm: Das frag„ ich mich auch! (lacht laut) Das frag“ ich mich auch!

Gliem: Ja, genau. Wenn ich manchmal im Bierzelt auf diesen Holzbänken schunkeln muss, dann tut mir nach wenigen Minuten der Hintern dermaßen weh... Und dieses dauernde Klatschen...! Klatschen Sie mal stundenlang!

Schwalm: Vielleicht schunkelt man deshalb, um mit der Bewegung zu zeigen, dass man sich gerade wohl fühlt. Dass man gemütlich ist! Was macht man denn mit kleinen Babys? Man schaukelt sie in den Schlaf!

Oh, also übernehmen Sie quasi eine doppelte Vater-Funktion, wenn Sie „Herzilein“ singen?

Gliem: (lacht) Ja, das ist wohl so eine Art Schunkel-Therapie... Es ist die Faszination der Berührung, man hat Kontakt, man hakt sich unter und macht Stimmung. Das erleben Sie auch bei der „La Ola“. Wenn ich die Welle für mich allein mache, dann macht es keinen Spaß. Aber in einer vollen Halle...! Aus diesem Grund werden auch Polonaisen gemacht – das sind so gruppendynamische Effekte...

Kann man sagen, dass gemütliche Musik bedeutet: eingängige Melodie, schnell zu lernender Text und Dreivierteltakt?

Gliem: Dreivierteltakt muss nicht unbedingt sein. Das kommt auf jeden Typen an! Dem einen wird"s ganz gemütlich, wenn er Richard Wagner hört, ein anderer mag lieber Kirchenlieder.

Werden Sie gemütlich, wenn Sie Ihre eigene Musik hören?

Gliem: Ich höre unsere Musik privat normalerweise nicht. (lacht) Auf der Bühne übe ich aus und fühle mich wohl dabei. Ich liebe die Reaktion des Publikums. Aber ich selbst höre lieber Klassik oder die Beatles.

Das Gespräch führte Michael Defrancesco

Rhein-Zeitung, März 2006