London

Joanne K. Rowling will diesmal schockieren – erster Erwachsenenroman in den Buchläden

Joanne K. Rowling
Viel Hype um den neuen Roman der britischen Autorin Joanne K. Rowling. Foto: David Cheskin

Es ist, als hätte die anständige Mary Poppins Fluchen und Striptease gelernt. Die berühmteste Autorin der Welt, die Millionen junger Leser mit einem epischen Märchen in 74 Sprachen verzaubert hat, legt ein neues Buch vor, das von Klassenproblemen, Heroinsucht, Prostitution und Sexualität bei Teenagern handelt und nicht mit deftigen Ausdrücken geizt. Geht das gut?

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„Ich fühle mich keineswegs als Babysitterin“, sagte resolut Joanne K. Rowling einem Journalisten des „New Yorker“. „Ich bin Schriftstellerin und ich schreibe, was ich will“.

Neues Buch von
Harry Potter hat Joanne K. Rowling berühmt und reich gemacht.
Foto: epa

Monster, Muggles und magische Mutproben in Zauberschlössern sind Geschichte. Jetzt will sie nicht nur unterhalten, sondern auch schockieren, geißeln und nachdenklich machen. Natürlich geht es der erfolgsverwöhnten „Harry Potter“-Schöpferin auch darum, aus dem Schatten ihrer 450-millionenfach verkauften Saga zu treten, der binnen 15 Jahren die ehemalige Sozialhilfeempfängerin in eine der reichsten Britinnen mit einem geschätzten Vermögen von 670 Millionen Euro verwandelt hat. Das ist die spannende Frage, die seit Monaten die Kritik beschäftigt: Taugt „JK“ etwas als eine ernsthafte, anspruchsvolle Schreiberin für Erwachsene?

Joanne K. Rowling
Das neue Buch «Ein plötzlicher Todesfall» von Joanne K. Rowling auf Sondertischen im Buchhandel.
Foto: DPA

Ab heute kann jeder darüber seine eigene Meinung bilden, wenn der Roman „Ein plötzlicher Todesfall“ (Original: The Casual Vacancy) weltweit über die Ladentheken geht. Die britische Buchhandelskette Waterstone’s macht eine Stunde früher auf, um den Riesenhunger der Fans auf Rowlings erste Geschichte seit 2008 zu befriedigen. Laut dem Daily Telegraph gab es für „eine der größten literarischen Premieren des 21. Jahrhunderts“ im Königreich eine Million Vorbestellungen. Dabei wurde das 512 Seiten lange Werk kaum in den Medien besprochen. Der Verlag Little Brown hatte offenbar entschieden, dass sein Star keine Werbung braucht. Aus Angst vor Piraterie weigerten sich die Briten, vorab Kopien des Manuskripts an die Verlage in Italien und Slowenien auszuhändigen. Und selbst die verschwiegenen deutschen Übersetzer mussten in London arbeiten, weil das streng gehütete Original nur dort zugänglich war.

All das erinnert natürlich an den Hype um „Harry Potter“. Und doch ist „Ein plötzlicher Todesfall“ völlig anders als die Abenteuerserie des Zauberlehrlings, mit der Rowling – damals noch eine depressive, alleinerziehende Mutter – erstmals 1997 von sich reden machte. Die 47 Jahre alte Britin nennt ihr Buch eine „komische Tragödie“, deren beißender Realismus eine wichtige Botschaft vermitteln soll: „Wir sind verantwortlich für die anderen Menschen, die arm, benachteiligt und unglücklich sind“. „JK“ hat es gerne, wenn die wenigen eingeweihten Journalisten den „Todesfall“ mit Dickens‘ gesellschaftskritischen Werken vergleichen. „Es ist eine moderne Version eines Romans aus dem 19. Jahrhundert, der unter die Oberfläche der Gesellschaft schaut“, sagte sie in einem BBC-Interview.

Der Inhalt ist nur in groben Zügen bekannt. Im fiktiven Dorf Pagford stirbt ein Gemeinderatsmitglied, und als die Einwohner einen Nachfolger wählen, bricht in der ländlichen Idylle eine bittere Fehde aus. Jeder intrigiert gegen Jeden. Anonyme Mitteilungen auf der Webseite des Rats enthüllen die Geheimnisse der Dorfbewohner und führen zu einer Tragödie. Zu den Haupthelden gehört eine drogensüchtige Prostituierte, die um das Sorgerecht für ihren Sohn kämpft. Die Autorin stellt die „versnobte“ Mittelschicht von Pagfort bloß, die auf die „unsoziale“ Unterschicht im Dorf herab blickt. Somit wird das Buch auch zu einer Abrechnung mit Camerons Regierung. In einem Interview kritisiert Rowling die liberal-konservative Koalition dafür, dass sie die Armen wie „einen homogenen Brei“ behandelt.

Es sei „riskant“, diesen Weg zu gehen, sagen jetzt manche Fachleute. „JK“ setze ihre Reputation aufs Spiel, wenn sie das sichere Terrain der Kinderbücher verlasse, um schwierige Themen anzusprechen. „Es wird gemischte Reaktionen geben. Hut ab vor ihrem Mut“, sagt Alistair Moffat, auf dessen Buchfestival Rowling aus dem neuen Werk lesen soll. Doch die meisten Kritiker bezweifeln, dass es der Schriftstellerin gelingen wird, die magische Kraft ihrer früheren Bücher wiederzubeleben. „Es wird gut sein, aber nicht so überragend wie Potter“, glaubt etwa der schottische Romanautor Allan Massie. Er vergleicht Rowling mit Arthur Conan Doyle, dessen Sherlock-Holmes-Geschichten den Rest seines literarischen Erbes überstrahlen.

Sie lässt sich von der Herausforderung nicht entmutigen. „Ich bin die freieste Schriftstellerin der Welt und habe genug Geld, um meine Rechnungen zu bezahlen. Wenn die Leute das Buch furchtbar finden, werde ich eben keine Party schmeißen. Aber damit kann ich leben“, sagte die selbstbewusste Millionärin dem Guardian.

Von unserem London-Korrespondenten Alexei Makartsev