Politik ist sein Geschäft: Wie Klaus Kocks mit „Geschichten“ handelt

Klaus Kocks trägt gern eine Blume am Revers. Im Polit-Zirkus der Hauptstadt ist er das, was man in US-Serien wohl einen „Spin-Doctor“ nennen würde. Er selbst bezeichnet sich als „Geschichtenhändler“.

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Von Rena Lehmann

Für Klaus Kocks folgt das Geschäft des politischen Erfolgs den Regeln der täglichen Seifenoper im Fernsehen. Der Spitzenkandidat einer Partei muss die Geschichte, die er von sich erzählt, glaubhaft vertreten. Und Menschen wie Klaus Kocks finden die Geschichte für ihn. Er ist davon überzeugt, dass wir in Politikern unsere Vorurteile widerspruchsfrei bestätigt sehen wollen. Der gemeine Wähler möchte möglichst nicht überrascht werden. Kocks' Bild von Politik ist nicht gerade ein idealistisches. Aber er wird auch nicht dafür bezahlt, die Welt zu retten. Es geht um Ergebnisse, um Wahlergebnisse und damit am Ende um Macht für seine Auftraggeber. Der 62-Jährige ist Politikberater.

Ein Einblick in die meist verborgenen Seiten des Regierungsgeschäfts: Seit der Jahrtausendwende wird auch in deutschen Wahlkämpfen nichts dem Zufall überlassen. Gelernt hat man von Briten und Amerikanern. Der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat mit dem Zuspitzen und Personalisieren in Deutschland angefangen. Erstmals wird bei ihm Wahlkampf zu einem filmreifen Showereignis. Licht aus, Spot an zum Einmarsch Schröders beim SPD-Parteitag kurz vor der Bundestagswahl 2002. Der Bundeskanzler, inszeniert wie ein Hollywood-Star auf dem roten Teppich. Es funktioniert – und ihm gelingt die längst verloren geglaubte Wiederwahl.

Klaus Kocks im Gespräch mit Gerhard Schröder: Unter Schröder wurde Wahlkampf erstmals zur Show.
Klaus Kocks im Gespräch mit Gerhard Schröder: Unter Schröder wurde Wahlkampf erstmals zur Show.
Foto: privat

Lange vor einer Wahl arbeiten Strategen in den Parteizentralen heute an Kampagnen. Sie fragen Menschen nach ihrer Meinung, um herauszufinden, welche Themen ziehen. Sie analysieren die politische Konkurrenz. Eine gute Kampagne kann viel bewirken. Wie viel hat zuletzt die FDP in Hamburg gezeigt. Mit selbstironischen Plakaten („Katja Suding. Unser Mann für Hamburg“) brachte die Spitzenkandidatin ihre Partei immerhin zurück ins Rennen.

Politikberater sind immer gefragt, vor Wahlen, nach Wahlen, in Krisen wie in guten Zeiten. In Berlin teilen sich mehrere große Firmen den vergleichsweise kleinen Markt. Ehemalige Journalisten wie der frühere stellvertretende „Bild“-Chefredakteur Michael Spreng und die Beratungsfirma WMP Eurocom des früheren Helmut-Kohl-Beraters Hans-Hermann Tiedje beraten heute Parteien, genau wie Kocks' Unternehmen Cato. Es ist ein lukratives Geschäft.

Die legendäre Raute der Kanzlerin

Bundeskanzlerin Angela Merkel verlässt sich wohl vor allem auf Eva Christiansen, die im Kanzleramt für „Medienberatung“ und „Politische Planung“ zuständig ist. Es heißt, sie hätte Einfluss darauf gehabt, dass Merkel heute immer gleiche Blazer mit großen runden Knöpfen trägt, dezent-elegant geschminkt ist und die Hände noch häufiger zur legendären Raute formt. Merkel wirkt auf diese Weise sachlich, uniformiert, zuverlässig. Im Wahlkampf 2013 verlässt sich auch die CDU komplett auf die Wirkung der Kanzlerin. Die Kampagne mündet in einem übergroßen Plakat am Berliner Hauptbahnhof, das nichts zeigt als die Merkel'sche Raute. „Das war genial“, sagt Klaus Kocks voller Bewunderung.

Er sitzt in seinem Berliner Büro unweit von Kanzleramt und Co. im Stadtteil Wedding. Er liebt Stil und Extravaganz. In seinem Büro stehen alte Bücher, die wertvoll aussehen, an den Wänden Kunst. Er trägt wie immer bei Auftritten einen feinen Anzug, Weste, eine auffallende Krawatte, die dazu passende Blume am Revers. „Ich bin ja auch selbst so etwas wie eine Marke“, erklärt er. „Ich pflege ein gewisses Dandytum.“ Auffallen, wiedererkennen, ein Typ sein. Was er seinen Kunden rät, lebt er selbst vor. Kocks ist ein geübter Kommunikator. Aus dem Nichts lässt er plötzlich Sätze fallen wie: „Jeder Politiker ist verantwortlich für das Maß seiner Missverstehbarkeit.“ Es sind wohl die Weisheiten seines Berufsstandes.

Diskretion gehört zum Geschäft

Wie kommt man dazu, Politiker zu beraten? Wenn man die Geschichte von Klaus Kocks hört, dann wohl nicht unbedingt durch ein Politikstudium. Grundwissen über Wahlen, Parteien und ihre Strukturen sind förderlich, wichtiger aber sind eine gute Intuition, Menschenkenntnis und Netzwerke. Kocks ist seit 40 Jahren SPD-Mitglied, er stammt aus dem Ruhrgebiet, die 68er haben ihn geprägt. Bis heute ist sein Draht zu den Genossen der heißeste, aber er hat auch schon die Grünen „und sogar“ schon mal die FDP beraten, wie er sagt. Über die Namen seiner Kunden will er Stillschweigen bewahren. Auch Diskretion gehört zum Geschäft.

Kocks' gelernter Beruf ist Deutschlehrer. Er hat eine Doktorarbeit über die Werkgeschichte von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ geschrieben. Doch als er 1979 mit Ende 20 in den lebenslangen Beamtenstand erhoben wird, „habe ich den Rest meines Lebens vor mir gesehen und habe die blanke Panik gekriegt“. Er bewirbt sich als „Redenschreiber“, wie er es heute nennt, genau genommen wird er Assistent des Vorstandsvorsitzenden der Ruhrkohle AG. Es ist ein vielversprechender Start in die Kommunikationsbranche, allerdings auf schwierigem Terrain. Die Energiewirtschaft hat schon in den 80er-Jahren nicht immer den besten Ruf, die Grünen machen zusehends mobil gegen Atomkraft und Kohle. Kocks lernt hier echtes Krisenmanagement. Er wird Geschäftsführer der „Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft“, im Herbst nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl koordiniert er die Pressearbeit aller Atomkraftwerksbetreiber Deutschlands. Ein Schleudersitz. Man muss schon ein besonders sonniges Gemüt haben oder besonders abgebrüht sein, um hier zu bestehen. Am besten beides.

Kocks hat damals einen Etat von 60 Millionen Euro, um die Atomkraft in Deutschland vor dem Untergang zu bewahren. „Es war ein echter Fronteinsatz“, sagt er heute. Manches sieht er rückblickend kritisch. Die Industrie hätte damals gar keinen offenen Diskurs über Atomenergie gewollt. Ein Fehler, meint Kocks. Man geht getrennte Wege.

Bei Steinbrück ging „die Geschichte“ nicht auf

Beratung ist ohnehin in den wenigsten Fällen ein Arbeitsverhältnis auf Lebenszeit. 1996, Gerhard Schröder ist noch Ministerpräsident in Niedersachsen, wird Kocks Vorstandsmitglied und Kommunikationschef bei Volkswagen. In dem Unternehmen, an dem das Land Niedersachsen einen wesentlichen Teil der Aktien hält, sind beste Kontakte in die Politik unerlässlich. „Ich habe Schröder dabei begleitet, Kanzler zu werden“, sagt er. Über Schröder spricht er mit Respekt, anders als über den glücklosen Kanzlerkandidaten der SPD für die Bundestagswahl 2013, Peer Steinbrück. Wenn die Rede auf Letzteren kommt, wird Kocks aufbrausend. „Eine Person muss das Programm ihrer Partei repräsentieren können“, sagt er. Bei Steinbrück ging „die Geschichte“ nicht auf. Von dem Kanzlerkandidaten wurde bekannt, dass er viele Zehntausend Euro mit Vorträgen in teils öffentlichen Einrichtungen verdiente, für die SPD aber zog er als Anwalt der Armen und Verfechter der sozialen Gerechtigkeit in den Wahlkampf. „Eine gute Geschichte funktioniert nur dann, wenn sie sich widerspruchsfrei zur Wirklichkeit verhält“, doziert Kocks.

Eine gute Beratung beginnt also mit einer guten Analyse. Was ist die gesellschaftliche Wirklichkeit? Wie ist die Meinungslage? Berater arbeiten eng mit Meinungsforschern zusammen. Entscheidendes Stimmungsbarometer ist für sie das tägliche Presseecho. Welche Themen dominieren? „Man muss sich in einer Kampagne entscheiden, auf welches Thema man setzt“, erklärt Kocks. Politikberater sprechen von einem „Spin“, einem Dreh also, den sie einer Geschichte geben. Wenn Journalisten ihnen ihren Dreh abkaufen, weil er glaubwürdig ist, kann die Kampagne funktionieren. Der einfach „Dreh“ von Merkels Wahlkampf 2013: Bei ihr bleibt das Land in „sicheren Händen“. Steinbrücks „Dreh“ war der von der Wiederentdeckung der sozialen Gerechtigkeit. Das Ende der Geschichte ist bekannt.

Ein authentischer Politiker? Eine naive Illusion

Wer Politikberatung für eine Manipulation des Wählers hält, überschätzt allerdings den Einfluss der Berater – und unterschätzt die Wähler. Kaum ein Spitzenpolitiker kann sich auf Dauer selbst komplett neu erfinden, um erfolgreich zu sein. Für den impulsiven SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich in den vergangenen Monaten als zuverlässiger Vize-Regierungschef zeigt, wird es auf Dauer schwer sein, die Disziplin zu wahren, meint Kocks. Ein Politiker, der immer direkt, ehrlich und er selbst ist, könnte aber auch keinen Erfolg haben. „Die Vorstellung von einem authentischen Politiker ist eine naive Illusion“, meint Kocks.

Ob er selbst mal Politiker werden wollte? „Niemals“, sagt er entschieden. „Diesen Grad an Fremdbestimmung und Selbstverbiegung könnte ich nicht ertragen.“ Er und seine Familie haben sich in der Zwischenzeit ohnehin einen Rückzugsort fernab des Berliner Politbetriebs geschaffen. Kocks lebt und arbeitet heute im kleinen Westerwalddorf Horbach. Nach Berlin kommt er nur noch zum Netzwerken, um Vorträge zu halten, zu beobachten. Um im Geschäft zu bleiben.

Er würde zwar nicht alles und jeden beraten, keine Extremisten jedenfalls. Ansonsten aber gilt: „Man muss schmerzfrei sein in diesem Geschäft.“ Die Gegenseite müsste einem im Wahlkampf im Zweifel besser „alles zutrauen“.

  • Seit Anfang des Jahres schreibt Klaus Kocks für unsere Zeitung Kolumnen über seine Beobachtungen im Berliner Polit-Zirkus.