Dieses Jahr schenken wir uns nichts zu Weihnachten

Insgeheim bin ich ja fest überzeugt davon, dass ein erfolgreicher Verlauf von Weihnachten nicht vom schnöden Mammon abhängig ist. Kurz gesagt: wahre Weihnacht statt Ware Weihnacht. Allerdings bin ich nicht so dumm, diese Ansicht öffentlich zu äußern oder mich gar praktisch danach zu richten.

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Mit Vernunft kommt man gegen Weihnachten ohnehin nicht an. Lassen Sie in Ihrer Beziehung oder Ehe doch einmal folgende Bemerkung fallen: „Dieses Jahr, mein Schatz, dieses Jahr ignorieren wir diesen ganzen Weihnachtskonsumterror. Dieses Jahr schenken wir uns nichts! Wir haben doch uns!“ Klingt vernünftig, klingt abgeklärt, klingt wie eine Abmachung unter Erwachsenen, spart Mühe, Zeit und Geld.

Was Sie allerdings wirklich damit ausdrücken, ist nahezu gleichbedeutend mit Ihrer charakterlichen Bankrotterklärung und der unmittelbaren Kernschmelze Ihrer Beziehung respektive Ehe. In Wahrheit kommt beim Adressaten eines solchen Vorschlags nämlich etwas ganz anderes an: „Er/sie hat einfach keine Lust, sich Gedanken darüber zu machen, was ich mir wünschen und worüber ich mich freuen würde, und außerdem bin ich ihm/ihr nichts mehr wert!“

Sogar die abgebrühtesten Pragmatiker unter uns wissen, dass Weihnachtspräsente zur Grundausstattung liebevollen Miteinanders gehören. Selbst wenn man im September oder Oktober noch lässig vereinbart hat, in diesem Jahr zugunsten der Welthungerhilfe oder eines Badeurlaubs auf Barbados auf die üblichen Geschenkrituale zu verzichten, schleicht sich spätestens Ende November die nackte Angst ein, an Heiligabend als Einziger mit leeren Händen dazustehen und zur persona non grata im eigenen Haus erklärt zu werden. „Dieses Jahr schenken wir uns nichts!“ dürfte deshalb die soziale Übereinkunft sein, die in Familien und Beziehungen am häufigsten gebrochen wird. Zum Glück. Nichts ist schließlich so trist wie ein Weihnachtsfest ohne bunte Päckchen unterm Tannenbaum – oder so schön wie die Vorfreude auf die Woche zwischen Weihnachten und Silvester, wenn wir das alles wieder umtauschen dürfen.

Von Jochen Krümmel