Wo Niklas P. aus Bad Breisig zu Tode geprügelt wurde: Bad Godesberg – Ein Stadtteil mit zwei Gesichtern

Bad Godesberg ist zerissen: Auf der einen Seite erinnern Villen an goldene Zeiten. Auf der anderen prägen Zuwanderer und Medizintouristen aus islamischen Ländern das Stadtbild. Neun Autominuten sind es von Rolandswerth (Kreis Ahrweiler), dem letzten rheinland-pfälzischen Ort vor der NRW-Landesgrenze, bis in den Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Viele Menschen aus dem Ahrkreis und auch aus dem Kreis Neuwied fahren in den 73.000-Einwohner-Stadtteil zum Einkaufen, ins Kino, sie schicken ihre Kinder dort in die Schulen.
Bad Godesberg ist zerissen: Auf der einen Seite erinnern Villen an goldene Zeiten. Auf der anderen prägen Zuwanderer und Medizintouristen aus islamischen Ländern das Stadtbild. Neun Autominuten sind es von Rolandswerth (Kreis Ahrweiler), dem letzten rheinland-pfälzischen Ort vor der NRW-Landesgrenze, bis in den Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Viele Menschen aus dem Ahrkreis und auch aus dem Kreis Neuwied fahren in den 73.000-Einwohner-Stadtteil zum Einkaufen, ins Kino, sie schicken ihre Kinder dort in die Schulen. Foto: Sascha Ditscher/Ronald Friese

Immer wieder gerät der Bonner Stadtteil Bad Godesberg in die Schlagzeilen. Zuletzt wegen der tödlichen Prügelattacke auf Niklas P. aus Bad Breisig. Zwei Parallelgesellschaften leben dort – und das läuft nicht immer friedlich ab. Wir haben genau hingesehen und uns unter die Bewohner von Bad Godesberg gemischt.

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Von unserer Reporterin Celina de Cuveland

Es war Liebe auf den ersten Blick. Als Walter Ulrich vor knapp 60 Jahren in den Bonner Stadtteil Bad Godesberg zog, hatte es ihn sofort erwischt. Schuld daran waren die stuckverzierten Altbaufassaden, die kleinen und feinen Geschäfte und die entspannte Atmosphäre eines Viertels, in dem Kurgäste sich von ihrem stressigen Alltag erholen. Doch wenn er jetzt an seine langjährige Heimat zurückdenkt, verschleiert sich sein Blick. „Der Stadtteil hat sich verändert“, sagt er. Wehmut schwingt in seiner Stimme mit. Der alte Mann mit dem schütteren weißen Haar und den hellblauen Augen hat seine Liebe verloren. Er ist aufs Land gezogen, weg von Bad Godesberg, das ihm in den vergangenen Jahren so viel Unglück gebracht hat.

85 Jahre jung ist Walter Ulrich, der Leiter des Kleinen Theaters. Er liebt sein Bad Godesberg nicht mehr – wenn der Vertrag mit der Stadt ausgelaufen ist, will er dem Stadtteil den Rücken kehren.
85 Jahre jung ist Walter Ulrich, der Leiter des Kleinen Theaters. Er liebt sein Bad Godesberg nicht mehr – wenn der Vertrag mit der Stadt ausgelaufen ist, will er dem Stadtteil den Rücken kehren.
Foto: Sascha Ditscher

Walter Ulrich ist Leiter des Kleinen Theaters, das mitten im Kurpark von Bad Godesberg liegt. „Früher waren unsere Veranstaltungen immer ausverkauft“, erzählt Ulrich. „Heute sind nur noch die Sonntagnachmittagsvorführungen gut besucht.“ In dem Park im Zentrum Godesbergs, wo früher Kurgäste flanierten, dealen jetzt Kleinkriminelle. Auch zu Handtaschendiebstählen und Überfällen kommt es dort immer mal wieder. „Einmal stand eine Frau weinend an der Abendkasse, weil ihr auf dem Weg durch den Kurpark die Handtasche entrissen worden war“, sagt Ulrich.

Bad Godesberg ist zu einem Stadtteil geworden, der immer öfter in einem Atemzug mit Problemvierteln wie Bonn-Tannenbusch oder Köln-Chorweiler genannt wird. Insbesondere nach dem brutalen Angriff auf den 17 Jahre alten Niklas P. in der Nacht zum 7. Mai dieses Jahres steht Godesberg im Fokus und auch in der Kritik der deutschlandweiten Berichterstattung.

Der 17-jährige Niklas P. aus Bad Breisig war im Mai mit Freunden in Bad Godesberg, als er so brutal und kaltblütig verprügelt wurde, dass er starb.
Der 17-jährige Niklas P. aus Bad Breisig war im Mai mit Freunden in Bad Godesberg, als er so brutal und kaltblütig verprügelt wurde, dass er starb.
Foto: Judith Schumacher

Junge Menschen treten einem anderen, auf dem Boden liegenden, wehrlosen Jugendlichen so massiv gegen den Kopf, dass er wenig später stirbt. Wie kann so etwas geschehen? Und was sind das für Jugendliche, die einen Gleichaltrigen zu Tode treten?

Vor allem die Brutalität dieser Tat schockiert. Schon in den vergangenen Jahren war es in Bad Godesberg immer wieder zu Zwischenfällen gekommen. 2002 war ein Polizist bei einem Einsatz in der Godesberger Innenstadt erschossen und ein weiterer schwer verletzt worden, sieben Jahre später entstand im Kurpark eine Massenschlägerei zwischen Schülern eines Elite-Gymnasiums und jungen Migranten. Erst im Juni dieses Jahres bedrohen zwei Jugendliche einen Zwölfjährigen und entführen ihn, sperren ihn ein, wollen Geld von ihm erpressen. Einer der beiden Täter ist 15 Jahre alt, Marokkaner und polizeibekannt. Die Frage drängt sich auf, was in Bad Godesberg schiefgelaufen ist. Es scheint, als würde sich ein Schlund auftun, das Viertel unaufhaltsam abrutschen. Und einige seiner Jugendlichen mit ihm.

Ursache dafür ist vielleicht die mangelnde Kontrolle. Wer einen Vormittag lang durch die Straßen von Bad Godesberg läuft, wird zwar mindestens einmal einen vorbeifahrenden Streifenwagen zu Gesicht bekommen. Doch der Schein trügt: Bad Godesberg hat immer noch damit zu kämpfen, dass mit dem Wegzug der Regierung und der Diplomaten auch ein Großteil der Sicherheitskräfte aus dem Stadtteil abgezogen worden ist. „Damals gab es rund 1500 Polizisten mehr im Viertel als heute“, erinnert sich Egbert Bülles. Der Kölner Ex-Oberstaatsanwalt lebt seit 35 Jahren in dem Bonner Stadtteil und beobachtet die Entwicklungen vor seiner Haustür sehr genau. Er ist ein freundlicher Mann mit rundem Gesicht und markanten Augenbrauen. „Als ich nach Godesberg zog, hatte ich den Eindruck, dass die Welt hier noch in Ordnung ist“, sagt er. „Das kann ich heute nicht mehr behaupten.“

Zu Beginn der Trauerfeier im Mai 2016 gab es ungewöhnliche Klänge für eine Messe: Ein Rapper namens Djaspora trat auf – und erinnerte auf seine Art daran, dass ein junger Mensch zu früh aus dem Leben gerissen wurde.

dpa

Die ersten zehn Reihen bei der Trauerfeier in der Bad Godesberger Marienkirche waren gefüllt mit Jugendlichen. Vor ihnen aufgebahrt ein weißer Sarg, daneben eine Staffelei mit einem Porträt von Niklas. Der 17-Jährige war einer von ihnen.

Judith Schumacher

Dechant Wolfgang Picken ging in der Marienkirche in Bonn mit dem Weihrauchkessel am Sarg von Niklas P. vorbei.

dpa

Der Trauerzug.

Judith Schumacher

Die Trauernden standen am 21. Mai 2016 in Bonn am Grab von Niklas P. Im Stadtteil Bad Godesberg fand die Trauerfeier für den nach einer Prügelattacke in Bonn gestorbenen 17-Jährigen statt.

dpa

Die Menschen nahmen Abschied von Niklas.

dpa

Denn es ist ein Stadtteil, den Gegensätze prägen. Arm und Reich, Menschen verschiedenster Bildungsstufen, Kulturen und Herkunftsländer, Medizintouristen und Einheimische – sie alle leben in diesem Viertel. In der Fußgängerzone kaufen vollständig verschleierte Frauen in 1-Euro-Läden und teuren Juweliergeschäften ein, während die Männer in den Cafés sitzen, Tee trinken oder Wasserpfeife rauchen. „Wir sprechen auch Arabisch“ steht auf einem Schild, das im Schaufenster einer Apotheke hängt. Viele Geschäfte stehen leer. Die Wortfetzen, die Passanten entgegenfliegen, klingen arabisch, russisch, türkisch, deutsch. Der Geruch von süßlichem Wasserpfeifendampf mischt sich gegen Abend in der Fußgängerzone mit dem Duft von knusprigem Hähnchenfleisch und Kardamom.

Während im Kurpark auf der einen Seite der Bahnschienen sechs verschleierte Frauen mit ebenso vielen Kindern auf Metallbänken sitzen, geht im Villenviertel auf der anderen Seite der Schienen ein junges Pärchen mit zwei Kindern zwischen gepflegten Vorgärten spazieren. Auf dieser anderen, der „hübschen“ Seite ticken die Uhren langsamer. Dort liegen das noble Rheinhotel Dressen, die stilvollen alten Villen und die früheren Botschafterresidenzen aus einer Zeit, in der Bad Godesberg noch ein Synonym für betuchteres Wohnen war. „Pensionärpolis“, wie es manchmal spöttisch heißt, ein Ort des gehobenen Bürgertums. Die Bahnschienen trennen diese Welten. Das gesellschaftliche Gefälle, das sich auftut, wenn man sie überquert, ist so steil, dass man es fast nicht glauben möchte. Bad Godesberg – ein Stadtteil mit zwei Gesichtern.

Ein lauer Sommerabend in der Innenstadt fühlt sich ein bisschen an wie ein multikulturelles Volksfest. Ein Kurzurlaub in einer fremden Welt, möchte man meinen. Die Menschen sind auf der Straße, reagieren freundlich, sie lachen, unterhalten sich. Nicht überall in diesem so ambivalenten Stadtteil herrschen Angst und Unsicherheit. Doch es gibt sie, die Brennpunkte, an denen sich immer wieder gewaltsame Szenen abgespielt haben – Bedrohungen, Überfälle, Raub, Körperverletzungen. Dazu gehören vor allem das Bahnhofsumfeld mit seinen Unterführungen, die Koblenzer Straße und der Kurpark.

Blumen und Kerzen stehen am in Bonn neben einem Holzkreuz an der Stelle, an der der später verstobene Niklas P. am 7. Mai von Schlägern attackiert wurde.
Blumen und Kerzen stehen am in Bonn neben einem Holzkreuz an der Stelle, an der der später verstobene Niklas P. am 7. Mai von Schlägern attackiert wurde.
Foto: dpa

Teile des einst so adretten Diplomatenviertels mit seinen Altbauvillen und einer Fachwerkaltstadt haben sich in einen multikulturellen Schmelztiegel mit gesichtslosen Einkaufszentren und eckigen Betonneubauten verwandelt, von dem erwartet wird, dass verschiedene Kulturen und Gesellschaftsschichten darin reibungslos nebeneinander her existieren. Doch das will nicht recht funktionieren. Die Kriminalstatistik lässt darauf schließen, dass Bad Godesberg im vergangenen Jahr ein wenig sicherer geworden ist, denn mit 5918 Delikten verzeichnete die Polizei 313 weniger als noch 2014.

Die Bezirksbürgermeisterin von Godesberg, Simone Stein-Lücke, vertraut auf die Polizei im Viertel. Sie glaubt, dass das, was in Godesberg momentan vor sich geht, eine große Irritation im subjektiven Sinne ist. Denn das Sicherheitsempfinden der Menschen spiegelt den Rückgang der Straftaten nicht wider. Das liegt möglicherweise daran, dass zwar weniger Einbrüche, Fahrraddiebstähle und Kriminalität auf den Straßen ausgeübt werden, doch die Zahl der Gewalt- und sogenannten Rohheitsdelikte, zu denen auch Beleidigung und Nötigung zählen, steigt. 237 Gewaltdelikte verzeichneten die Beamten 2015, ein Jahr zuvor waren es noch 200. Auch bei den Rohheitsdelikten gab es einen Anstieg – von 801 auf 860 Fälle. Mehr Körperverletzungen, mehr Fälle von häuslicher Gewalt, mehr Schlägereien sind Ursache für den Anstieg. Insbesondere die Gewalt, die auf der Straße stattfindet und die die Godesberger unmittelbar mitbekommen, verunsichert die Menschen.

So geht es auch Anna. Die junge Frau fühlt sich in Bad Godesberg nicht sicher, möchte nicht, dass ihr Nachname in der Zeitung steht. Obwohl sie dort aufgewachsen ist, traut sie sich abends nicht mehr, ihre Wohnung zu verlassen. „Ich habe zwei kleine Kinder, da begebe ich mich nicht in Gefahr“, erzählt sie. Dieses Angstempfinden ist es, das Bezirksbürgermeisterin Stein-Lücke meint. Deswegen sind dichte Hecken zurückgeschnitten worden, die Polizeipräsenz verstärkt und Jugendkontaktbeamte engagiert worden. Doch für Anna macht das vorerst keinen Unterschied. Sie meidet Straßen, in denen es kaum noch Ladenbesitzer deutscher Herkunft gibt. „Ich glaube, die Medizintouristen aus Saudi-Arabien und den Emiraten, die die Kliniken hier besuchen, bleiben einfach“, verrät sie und berichtet von Anwohnern, die ihre Wohnung unter der Hand systematisch an diese Touristen vermieten.

Zahlreiche Einzelhändler haben Probleme und müssen ihre Geschäfte 
schließen.
Zahlreiche Einzelhändler haben Probleme und müssen ihre Geschäfte 
schließen.
Foto: Sascha Ditscher

Medizintouristen gibt es in Godesberg schon lange, auch wenn ihre Zahl gestiegen ist. Sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, prägen in traditioneller arabischer Kleidung das Stadtbild – und verunsichern so die Einheimischen. Das ist auch der Bezirksbürgermeisterin klar. „Mein Ansatz: Die Medizintouristen dezentral unterbringen“, sagt sie. „Im Moment konzentrieren sich ihre Übernachtungsmöglichkeiten auf die Innenstadt.“ Simone Stein-Lücke sucht nach dezentralen Lösungen, spricht mit Investoren über potenzielle neue Unterbringungsmöglichkeiten in den anderen Teilen Godesbergs. Die vielen Medizintouristen verunsichern vielleicht die Bürger, aber sie sind es nicht, die kriminell werden, Leute verprügeln, dealen oder Handtaschen klauen.

Koussay stammt aus Syrien, spricht fließend Arabisch und kennt sich mit dem Medizintourismus in Godesberg aus. Der 37-Jährige ist in der Branche tätig, vermittelt Wohnungen, Flugtickets. „Früher gab es hier nur drei türkische oder arabische Geschäfte“, erinnert er sich. Jetzt liegt sein Büro zwischen Bagdad-Markt, Babylon-Bookshop und Maroc Shop. Dass sich viele Godesberger in ihrem eigenen Stadtteil unwohl fühlen, erklärt er so: „Natürlich gibt es Berührungsängste zwischen Anwohnern und den Medizintouristen. Da prallen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Für die Godesberger macht es keinen Unterschied, wer unter der Burka steckt. Sie nehmen nur die zunehmende Masse der anders aussehenden Menschen wahr.“

In der Innenstadt von Bad Godesberg prallen Welten aufeinander: Hier teure Juweliere, da 1-Euro-Läden. Mittags wimmelt sie vor Leben, abends ist sie wie ausgestorben.
In der Innenstadt von Bad Godesberg prallen Welten aufeinander: Hier teure Juweliere, da 1-Euro-Läden. Mittags wimmelt sie vor Leben, abends ist sie wie ausgestorben.
Foto: Sascha Ditscher

Wie auch Niklas P. ist Koussay vor Kurzem Opfer der Gewalt von Jugendlichen in Bad Godesberg geworden. Dabei hatte er nur einen jungen Mann auf das Halteverbot hingewiesen, in dem dieser geparkt hatte. Ein Streit entstand, der Jugendliche schlug und trat so fest auf Koussay ein, dass dieser zu Boden ging und sein Bein zertrümmert wurde. „Das ist nicht normal, was mir passiert ist“, sagt Koussay. „Diese jungen Menschen haben keinen Respekt vor den deutschen Gesetzen.“ Koussay glaubt, dass sich die kriminellen Jugendlichen nur durch härtere Strafen von so brutalen Taten abhalten lassen.

Inzwischen hat sich etwas getan: Mehr Polizisten sind im Einsatz, jugendliche Straftäter sollen stärker in den Fokus rücken. Im Kurpark werden verstärkt Kontrollen durchgeführt, an einem Wochenende im Juli wurden mehr als 90 Personen kontrolliert. „Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen wäre auch noch eine gute Maßnahme, um die Sicherheit im Stadtteil zu gewährleisten“, findet Egbert Bülles. In seiner Zeit als Oberstaatsanwalt hat er sich hauptsächlich mit organisierter Kriminalität beschäftigt, sein Spezialgebiet: Menschenhandel. Wenn sich einer mit Kriminellen auskennt, dann er. „Die Jugendlichen, die in Bad Godesberg kriminell werden, sind hauptsächlich Heranwachsende mit Migrationshintergrund“, sagt er und seufzt. Simone Stein-Lücke sieht das ähnlich. Sie spricht von jugendlichen Intensivtätern mit abgebrochener Schulausbildung und Migrationshintergrund, die oft nur schlechtes Deutsch sprechen.

Streifenwagen im Kurpark gehören zu Bad Godesberg – sie sollen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.
Streifenwagen im Kurpark gehören zu Bad Godesberg – sie sollen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.
Foto: Sascha Ditscher

Doch wer ist dafür zuständig, diese Jugendlichen in den Griff zu bekommen? Susanne Beckschwarte ist die pädagogische Leiterin des Godesberger Hermann-Josef-Hauses, einer Jugendhilfeeinrichtung der Caritas. Zusammen mit der evangelischen Jugendhilfe Godesheim hat die Einrichtung erst vor Kurzem das One-World-Café in der Innenstadt eröffnet. Eine Begegnungsstätte für Jugendliche aller sozialen Schichten mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und aus verschiedenen Herkunftsländern sollte es sein. Für die Jugendlichen, die kriminelle Energien entwickeln, ist es jedoch kein wirklicher Anlaufpunkt.

„Zu uns würden diese Jugendlichen gar nicht kommen“, sagt Susanne Beckschwarte. „Und wenn, dann können sie sich natürlich gern beraten lassen. Aber wer Unruhe stiftet, den können wir in unserer Einrichtung nicht dulden. Außerdem ist es ja so: Wenn die Jugendlichen schon so weit sind, dass sie kriminell werden, dann ist es meist zu spät für die Jugendarbeit.“ Mit der Prävention müsse früher begonnen werden.

Genau das versucht der Verein „Kultur verbindet“. Mit Lesepatenschaften für Grundschüler und Ausflügen setzen sich die Mitarbeiter dafür ein, dass sich das Verhältnis zwischen den deutschen Godesbergern und ihren Nachbarn mit Migrationshintergrund verbessert. „Wir hoffen darauf, dass die so entstandenen Beziehungen lange halten“, sagt Arzu Çetinkaya, die dem Verein vorsitzt. Sie ist Deutsche, ihre Eltern stammen aus der Türkei. „Kriminalität entsteht aus Langeweile. Auch deswegen sorgen wir dafür, dass Kinder mit Migrationshintergrund integriert werden, sich für Freizeitaktivitäten interessieren und Anschluss finden.“ Çetinkaya erzählt, dass es in Godesberg Eltern gibt, die die Grundschule ihrer Kinder gezielt nach niedrigem Ausländeranteil aussuchen. Verstehen kann sie diese Haltung nicht. Im Kindergarten würden schließlich auch alle Kinder gemeinsam lernen und spielen. Sie sieht bei Grundschulen und weiterführenden Schulen akuten Handlungsbedarf.

Bad Godesberg ist zerrissen: Auf der einen Seite prägen Zuwanderer und Medizintouristen aus islamischen Ländern das Stadtbild.
Bad Godesberg ist zerrissen: Auf der einen Seite prägen Zuwanderer und Medizintouristen aus islamischen Ländern das Stadtbild.
Foto: Roland Friese

Egbert Bülles, der ehemalige Oberstaatsanwalt, hat selbst zwei Söhne. Auch sie wurden schon mal von anderen Jugendlichen in der Godesberger Innenstadt angepöbelt. Doch zu Handgreiflichkeiten oder handfesten Problemen kam es nie. „Meine Jungs waren im Fußballverein, sie kannten ganz einfach die Jugendlichen, die hier abends rumhingen“, erinnert sich Bülles. Er glaubt, dass Integration vor allem durch Sportvereine gelingen kann.

Das sieht der leitende Pfarrer des Seelsorgebereiches Bad Godesberg, Dechant Wolfgang Picken, anders. „Durch die Vereine erreichen wir diese Jugendlichen, die kriminell werden, doch gar nicht“, sagt Picken. „Die haben kein Interesse an Vereinssport, kümmern sich nicht um die Jugendarbeit. Aber zur Schule müssen sie alle.“ Er setzt sich für Gewaltpräventionsprogramme im Unterricht ein, um die Jugendlichen möglichst früh und in großer Zahl zu erreichen. „Wir müssen auch auf die Chancengleichheit in der Bildung setzen, um der Entfremdung in Bad Godesberg entgegenzuwirken“, sagt er. „Und wir müssen die Aufmerksamkeitskultur unter Jugendlichen etablieren. Dieses gegenseitige Aufeinanderachten – das brauchen wir.“

Auch spricht Picken davon, dass Jugendliche aus schlechteren, familiären Verhältnissen ihre Aggressionen oftmals gegen andere Menschen richten. „Es hängt aber nicht nur mit dem Migrationshintergrund zusammen, dass Jugendliche kriminell werden“, sagt Picken. „Kriminelle Energien äußern sich lediglich je nach gesellschaftlicher Schicht anders.“ Jugendliche aus besseren Verhältnissen hätten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Psychischer Druck beispielsweise durch hohe Erwartungen seitens der Eltern oder der Lehrer überfordere sie. Sie würden, so Picken, eher versuchen, ihre Probleme durch Autoaggressionen abzubauen. Das bedeutet, dass die Jugendlichen eher sich selbst verletzten als ihre Mitmenschen. „Die Jugendlichen heutzutage wissen nicht mehr, wie sie mit psychischem Druck umgehen sollen“, erklärt Picken dieses Verhalten. „Da fehlen ganz einfach Richtlinien, Regeln und ein Orientierungspunkt im Umfeld. Wir müssen versuchen, die Defizite in der Entwicklung der Jugendlichen zu beseitigen, nur so können wir die Jugendkriminalität senken.“ Picken sieht die Lösungen bei Schulen, Vereinen und Familien.

Auf der anderen erinnern Villen an goldene Zeiten.
Auf der anderen erinnern Villen an goldene Zeiten.
Foto: Sascha Ditscher

Klar ist: Ein Patentrezept, wie die Probleme des Viertels zu lösen sind, gibt es nicht. Das zu erwarten, wäre auch realitätsfern. Man wird Vereine, Initiativen und Schulen stärker – auch finanziell – unterstützen und die Videoüberwachung ausbauen müssen. Kostenneutral dürfte das nicht zu machen sein. Die einst im Diplomatenviertel überall präsente Polizei muss personell aufgestockt werden, vor allem durch jüngere Beamte. Wie jetzt bekannt wurde, weigern sich ältere Polizisten offenbar, an den verstärkten nächtlichen Streifen teilzunehmen. Es sei ihnen zu gefährlich. Sie fühlen sich den jugendlichen Tätern nicht gewachsen. Das wirft ein Schlaglicht auf die Situation.

Die Abwärtsspirale, von der in vielen Medien derzeit die Rede ist, gibt es laut Stein-Lücke so aber nicht. Sie spricht von „einer Herausforderung“. Ihr zufolge gibt es in Godesberg eine neue soziale Klasse, eine Transformation und viele Menschen, die sich unwohl fühlen. Dennoch sei der Zuzug von jungen Familien so hoch wie in keinem anderen Stadtteil Bonns. „Die Beliebtheit von Bad Godesberg ist ungebrochen“, sagt sie.

Walter Ulrich, der Leiter des Kleinen Theaters, liebt den Stadtteil nicht mehr. Für ihn erledigt sich das Problem Bad Godesberg von selbst. 2019 läuft sein Vertrag mit der Stadt aus. Dann wird das Kleine Theater im Kurpark seine Türen nach langer, wechselvoller Geschichte für immer schließen, und Walter Ulrich wird auch den letzten Grund verlieren, noch einmal in das einst so schmucke Godesberg zurückzukehren.