Leben im Ausland: Auf Wiedersehen

Oft gehen sie aus beruflichen Gründen: Rund 175 000 Deutsche wandern jährlich aus – meist vorübergehend. Unter ihnen ist auch die Neuwiederin Annette Fleck. Sie lebt in Istanbul – inmitten von gastfreundlichen Menschen und Auswirkungen der großen Politik.

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Von unserem Journalchef Michael Defrancesco

Als Annette Fleck in Istanbul ankam, war die Welt noch in Ordnung. Sommer 2012 war es, und die Neuwiederin wusste, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann die nächsten Jahre in der türkischen Metropole leben würde. Damals war noch kein Gedanke an Terroranschläge oder an Diskussionen um Schmähgedichte – damals war Annette Fleck eine von rund 175 000 Deutschen, die laut Statistischem Bundesamt jährlich auswandern. Der Grund – wie bei den meisten: berufliche Anforderungen.

„Als wir ankamen, war es ein extrem heißer Sommer“, erinnert sich Annette Fleck. Die ersten Wochen verbrachte das Paar in einem Hotelzimmer, bis die erste Wohnung gefunden war. „Der Arbeitgeber hilft in der Regel nicht dabei, eine Wohnung zu finden“, ist Annette Flecks Erfahrung. „Man braucht einen einheimischen Makler und am besten Landsleute, die schon am Ort leben und einem helfen.“ Das zeigte sich bald: Ohne ein Netzwerk, das den Neuankömmling trägt, ist man schnell verloren.

Essenziell ist daher eine gute Vorbereitung. In Rheinland-Pfalz gibt es das Raphaelswerk der Caritas mit Sitz in Trier. Angela Ansari ist eine erfahrene Beraterin und weiß, was Auswanderwillige brauchen: Informationen über Land und Leute, die Kultur, die auf sie wartet, das Sozialnetz, Fragen nach Visa, Arbeitserlaubnissen – kurz: alles, was Behörden brauchen. Die Hälfte der Auswanderungsinteressierten bleibt in Europa (Spanien, Österreich und die Türkei stehen auf den ersten drei Plätzen), die andere Hälfte verteilt sich buchstäblich auf den Rest der Welt – zuvorderst auf die USA, sagt Ansari.

Für Annette Fleck war die Sprache die erste Herausforderung. „Die normalen Türken sprechen nicht sehr gut Englisch“, erzählt sie, „und Türkisch zu lernen, ist richtig schwierig. Man redet also in der ersten Zeit nur mit Händen und Füßen miteinander.“ Auch wenn sie mit ihrem Mann in Deutschland einen Sprachkurs besuchte, so reichten die Kenntnisse bei Weitem nicht aus.

„Als Erstes lernt man, wie man auf Türkisch einkaufen geht, wie man nach dem Weg fragt. Das klappt dann nach rund einem Jahr“, sagt sie. Aber bis man sich wirklich mit seinen neuen Nachbarn unterhalten kann – das dauert. „Zum Glück sind die Türken sehr freundlich und gastfreundlich. Wir haben uns von Anfang an sehr willkommen gefühlt. Und wenn man auch noch versucht, ein paar türkische Worte zu sprechen, dann hat man ihr Herz schnell erobert.“

Annette Fleck erinnert sich an eine Geschichte, als sie zum ersten Mal Bus in Istanbul fuhr. „Ich wusste nicht, dass man nicht bar im Bus bezahlen kann, sondern dass man eine Istanbul-Card braucht“, erzählt sie. „Eine ältere Frau saß im Bus vorn, und sie bemerkte mein Problem. Also stand sie auf und bezahlte mein Ticket.“ Als Annette Fleck aussteigen wollte, stieg die Einheimische ebenfalls mit aus, nahm die Deutsche buchstäblich an die Hand und führte sie zu einem Kiosk. „Dort übersetzte sie und half mir, dass ich ein Buskarte kaufen konnte“, erzählt Annette Fleck und lacht.

Es wird geschätzt, dass mehrere Millionen deutscher Staatsbürger im Ausland leben, teils dauerhaft, teils vorübergehend. Genaue Daten liegen dem Bund nicht vor – eine Statistik wird nicht geführt. Ebenso wenig wird darüber Buch geführt, ob die Deutschen im Ausland ihre Staatsbürgerschaft wechseln.

„Wir raten dringend davon ab, im Ausland die deutsche Staatsbürgerschaft abzugeben“, sagt Beraterin Angela Ansari vom Raphaelswerk in Trier. Der Grund: Die Experten raten immer dazu, auch die Rückkehr nach Deutschland im Blick zu haben. „Meistens erinnern sich die Auswanderer dann an ihre alte Heimat, wenn es ihnen schlecht geht.“ Dann bemerken sie, dass das Sozialnetz in Deutschland viel besser ist, dass man hier vom Staat aufgefangen wird. „Doch wenn ich die deutsche Staatsbürgerschaft abgegeben habe, wird es kompliziert. Das kann Jahre dauern, bis man wieder deutscher Staatsbürger geworden ist“, warnt Ansari.

Vor der Behördenmühle warnt auch Annette Fleck: „Das ewige Spiel um das Erneuern der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ist in der Türkei ermüdend.“ Unbefristete Genehmigung gibt es selten, sagt sie. „Und es kann gut sein, dass die Bearbeitung von Anträgen so lange läuft, dass bereits andere Fristen überzogen werden.“

Ebenso kann es dauern, bis man auch mit seinem eigenen Hausstand in der Türkei angekommen ist. „Wir haben die ersten drei Monate mit einem Ikea-Tischchen und einer kleinen Küche in unserer Wohnung gehaust, bis wir unseren Hausstand endlich zollfrei einführen durften“, erinnert sich Annette Fleck. „Man darf sich nicht unterkriegen lassen.“

Hilfe bekommt sie unter anderem vom Verein „Brücke“, der einen Infobrief für Deutschsprachige in der Türkei herausbringt. Inzwischen arbeitet Annette Fleck in der Redaktion mit. Immer wieder gibt es ausführliche Artikel über den Umgang mit den Behörden, aber auch Tipps zum Ausgehen und wie man sich mit anderen Deutschen vernetzen und treffen kann. „Man muss sich ja über so viel informieren: Welche Schule ist für meine Kinder gut? Kann ich meinen Sport ausüben? Wie funktioniert der Nahverkehr? Wo kann ich gut einkaufen? Welcher Friseur, welcher Arzt ist gut? Gibt es Vereine? Wie finde ich meine Wohnung? Man muss da unglaublich kreativ sein und sehr auf die Menschen zugehen.“

Fotografin Annette Fleck aus Neuwied hat für die nächsten Jahre eine neue Heimat in Istanbul gefunden. Foto: <a href=
Fotografin Annette Fleck aus Neuwied hat für die nächsten Jahre eine neue Heimat in Istanbul gefunden.

Wie deutsch man im Ausland bleibt? Das ist eine ganz entscheidende Frage, sagt Annette Fleck: „Es ist ein Spagat zwischen Respekt vor der Kultur des Gastgeberlandes und meiner Identität als Deutsche.“ Im Alltag kann es dabei immer wieder zu Missverständnissen kommen. „Ich bin Deutsche, also ist mein Nein ein Nein und mein Ja ein Ja. Für Türken ist ein Nein aber eine Aufforderung, mit viel Reden und Gestikulieren doch noch ein Ja daraus zu machen. Das kann ganz schön anstrengend sein“, sagt Fleck und lacht.

Manchmal ist auch die türkische Gastfreundschaft so groß, dass sie sich regelrecht fremdbestimmt fühlt. „Die Türkei ist ein Land des Tees, man bekommt immer und überall Tee angeboten.“ Auch, wenn sie sich nur in einem Einkaufsladen umsehen will. „Teilen ist in der Türkei ganz normal.“ Inzwischen hat sie sich so an diese Mentalität gewöhnt, dass sie nun manchmal in Deutschland verwirrt ist. „In Deutschland kann sich eine Gruppe von Menschen gemeinsam einen Kuchen kaufen. Wenn man als Außenstehender dazu kommt und sagt: ,Oh, das sieht aber lecker aus!', dann sagt die deutsche Gruppe: ,Danke' und isst weiter. Man bekommt als Außenstehender nichts angeboten. In der Türkei wäre das undenkbar.“

Während ihrer Zeit in Istanbul hat Annette Fleck auch immer wieder die große Politik erlebt. Sie hat 2013 die Proteste im Gezi-Park gegen die Regierung Recep Tayyip Erdogans beobachtet. Ob Terroranschläge, eine touristenleere Stadt oder Diskussionen über das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann – zur Ruhe kommt Istanbul nicht. Abbrechen will Annette Fleck ihren Aufenthalt dort aber nicht. „Im persönlichen Alltag distanzieren sich viele Menschen von der Politik. Sie reden lieber über Fußball und wollen nicht politisieren“, sagt Annette Fleck. „Natürlich bekommen wir vieles mit. Deutsche Institutionen haben es nicht leicht in der Türkei. Und auch die christlichen Kirchen bekommen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Die Türkei ist ein sehr vielschichtiges Land.“ Dennoch: „Erdogan hat die Gesellschaft gespalten“, sagt sie. Immer mehr Einheimische hätten Angst davor, dass die Zeit der Ruhe und des Wohlstands vorbei sei.

Je unruhiger es im Ausland wird, umso mehr lockt dann doch wieder die Heimat. 56 Prozent aller Beratungen, die Angela Ansari beim Raphaelswerk im vergangenen Jahr getätigt hat, waren zum Anliegen „Rückkehr nach Deutschland“. 47 Prozent dieser Rückkehrwilligen waren mehr als zehn Jahre im Ausland, 40 Prozent wollten nach drei bis zehn Jahren Auslandsaufenthalt zurückkehren. Niemals geht man eben so ganz ...

Weitere Infos:

Auslandsdeutsche sind Deutsche mit Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Infos gibt es im Internet: www.ku-rz.de/ausleben

Wer im Ausland leben will oder dort seinen Ruhestand verbringen will, findet Beratung unter www.raphaelswerk.de. Die Beratungsstelle in Rheinland-Pfalz findet sich in Trier, Bruchhausenstr. 16 a. Ansprechpartnerin ist Angela Ansari (Schwerpunkt: Auswandererberatung weltweit), Tel. 0651/2096–356 oder per E-Mail: trier@raphaelswerk.net.

Weitere Informationen gibt es auch unter www.
ku-rz.de/ausarbeiten. Auch das Bundesverwaltungsamt bietet einen umfangreichen Informationsdienst an, der Deutsche auf ihrem Weg ins Ausland unterstützt.