Junge Forscher unter Druck: Weg zum Doktortitel ist teuer und steinig

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Der Weg zum Doktorhut ist beschwerlich, und oft reicht die veranschlagte Zeit nicht aus. Manche Doktoranden finanzieren ihren Lebensunterhalt auf den letzten Metern mit Minijobs oder Arbeitslosengeld.

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Immer wieder geht Doktoranden auf den letzten Metern finanziell die Puste aus. Stipendien und Arbeitsverträge sind oft zu kurz, und die Belastung ist zu hoch. Hochschulpolitisch können Promovenden kaum mitreden, um das zu ändern.

Für Manuel Marks* war die Arbeitslosigkeit immer eine Option. Keine zwar, die er gewollt hätte, aber eine realistische. „Ich wusste vorher, dass es sehr vielen Doktoranden so geht“, sagt Marks nüchtern. Seine Promotionsstelle lief nach dreieinhalb Jahren aus, ohne dass die Dissertation fertig gewesen wäre. Dann war er arbeitslos. Marks ist weder faul, noch hat er Schreibblockaden oder schiebt Arbeit gern auf. Und er ist auch kein Einzelfall.

Kaum ein Doktorand schafft es, seine Dissertation in weniger als vier Jahren abzuschließen – im Durchschnitt brauchen Doktoranden 4,5 Jahre. Das geht aus einer Befragung des Hochschul-Informationssystems hervor, die Ende 2012 veröffentlicht wurde. Demnach arbeiten Geisteswissenschaftler am längsten an ihren Doktorarbeiten – im Schnitt 5,1 Jahre – während Mathematiker und Naturwissenschaftler etwa 4,3 Jahre für die Dissertation brauchen. Stipendien und befristete Verträge an der Uni sind aber meistens für drei Jahre ausgelegt – manchmal mit Option auf Verlängerung.

Eine solche Option wurde auch Manuel Marks in Aussicht gestellt, als er seine Promotion an einer rheinland-pfälzischen Universität begann. Drei Jahre Finanzierung waren ihm sicher. Ein Jahr zusätzlich sollte es geben, wenn die Zeit nicht ausreicht. Rückblickend, sagt Marks, waren drei Jahre von vornherein zu knapp bemessen. Marks promoviert kumulativ. Das heißt: Statt an einer großen, arbeitet er an drei kleineren Arbeiten, wovon eine veröffentlicht, eine akzeptiert und eine weitere eingereicht sein muss. Allein die Verfahren zur Bewertung der einzelnen Arbeiten dauern sehr lange, mitunter sogar Monate. Marks' Vertrag wurde um ein halbes Jahr verlängert. Dann war Schluss. Also finanzierte er sich die Dissertation mit Arbeitslosengeld – 60 Prozent seines letzten Gehalts.

Parallel bewarb er sich der Nachwuchswissenschaftler für Jobs, die seiner Qualifikation entsprechen. Marks spricht von einer belastenden Situation: „Die Dissertation allein ist ja schon ein riesiges Projekt. Und dann muss man noch das existenzielle Problem lösen, wie man seine Brötchen bezahlen kann.“ Solche Sätze klingen bei Marks nicht larmoyant. Prekäre Lebenssituationen bei Nachwuchsforschern, Überlastung und unrealistische Finanzierungsmodelle für Dissertationsprojekte sind bekannte Probleme. Marks ärgert aber, dass sich daran bislang nicht viel geändert hat. „Doktoranden haben keine Lobby. Die meisten Unis haben noch nicht einmal eine richtige Promovierendenvertretung, die sich für unsere Interessen einsetzt“, klagt der Wissenschaftler.

Sind die Doktoranden als Promotionsstudenten eingeschrieben, werden ihre Interessen in universitären Gremien von Studenten vertreten und gehören sie zur verfassten Studierendenschaft. Allerdings haben Promovenden ganz andere Sorgen und Nöte als die Studenten – schon wegen der Abhängigkeit vom betreuenden Professor und auch wegen unterschiedlicher Lebenssituationen. Doktoranden mit Unistelle zählen als Mitarbeiter und werden in den Hochschulgremien über diesen Status repräsentiert.

Seit Jahren fordern Initiativen und Verbände einen eigenen Status für Promovierende, damit diese in der universitären Selbstverwaltung mit eigener Stimme vertreten sind. Auch eigene Gremien für Promovenden, die sich hochschulpolitisch explizit für die Interessen der Doktoranden starkmachen, sind selten. In Rheinland-Pfalz hat nur die Universität Trier mit der Promovierendenvollversammlung eine solche Einrichtung.

Zudem hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz längst nicht alle Probleme der Promovenden gelöst – auch wenn die Gewerkschaft GEW deutliche Verbesserungen sieht: „Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat die Situation von Promovenden verbessert. Vorher gab es Viertel- oder halbe Stellen, und die Zeit für die Promotion war eher zusätzlich. Das Gesetz regelt nun, wie promoviert wird, und dass der Nachwuchswissenschaftler auch tatsächlich promovieren kann“, sagt Klaus-Peter Hammers, Vorsitzender der Gewerkschaft GEW in Rheinland-Pfalz. Nachwuchswissenschaftler dürfen nur noch jeweils sechs Jahre lang vor und nach der Promotion befristet beschäftigt werden. An fehlenden Stellen und Stipendien ändert das nichts.

Viele Doktoranden kommen mit ihrer Arbeit nicht voran, weil sie zu viel Zeit für die Finanzierung ihres Lebensunterhalts verwenden müssen. Das berichtet Dr. Kathrin Ruhl, die Doktoranden am Interdisziplinären Promotionszentrum der Universität Koblenz-Landau berät. Ihrer Erfahrung nach sind nicht wenige Promovierende mit ihrem Job – zum Beispiel als Lehrkraft an der Uni – so stark ausgelastet, dass die Promotion zu kurz kommt: „Es wird oft unterschätzt, wie viel Zeit es braucht, Univeranstaltungen vorzubereiten und durchzuführen – gerade am Anfang, wenn man sich in die Themen noch einlesen muss.“

Gleichzeitig ist der Unijob als wissenschaftlicher Mitarbeiter sehr real und nahe, die Dissertation hingegen liegt gedanklich oft in weiter Ferne. Im Job wollen die jungen Akademiker Leistung zeigen. Wird die eigene Forschungsarbeit auf die lange Bank geschoben, kann es schwerfallen, an die Arbeit wieder anzuknüpfen. „Wenn man zwei Monate lang nicht an seiner Dissertation gearbeitet hat, braucht man relativ lange, um sich wieder einzuarbeiten“, erklärt Ruhl, die selbst vor zehn Jahren ihre Promotion im Fach Politikwissenschaften abgeschlossen hat. Ihrer Erfahrung nach unterschätzen viele Absolventen die zeitliche Dimension eines Promotionsvorhabens.

Einer 2016 veröffentlichten Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung zufolge waren Doktoranden im Prüfungsjahrgang 2013/2014 im Schnitt 32 Jahre alt, als sie ihre Promotion abschlossen. Mehr als 31 Prozent der Absolventen hatte zwischendurch ernsthaft darüber nachgedacht, hinzuwerfen und sich beruflich neu zu orientieren. Immerhin: Zwei Jahre nach Abschluss der Promotion waren nur 4 Prozent der Befragten arbeitslos.

Wie Doktoranden ihren Lebensunterhalt bestreiten, ist unterschiedlich. Einige bekommen ein Stipendium, das aber oft auch nur auf drei Jahre ausgelegt ist. Manche kommen in dem Genuss, in einem Graduiertenkolleg promovieren zu können. Bei dieser Form der Promotion werden die Doktoranden nicht nur per Stipendium finanziert, sondern stehen auch noch in einem intensiven Austausch mit anderen Nachwuchswissenschaftlern, die im gleichen Fachbereich forschen.

Das Promovieren in einem Graduiertenkolleg gilt unter Nachwuchsforschern als Luxusvariante. Das andere, eher seltene Extrem gibt es aber auch: Manchmal finanzieren die Eltern die Forschungsarbeit ihrer erwachsenen Kinder. Der klassische Weg zum Doktortitel führt über eine Stelle an der Uni. Zwar ist das Vorbereiten von Lehrveranstaltungen arbeitsintensiv, doch zumindest haben die Themen oft etwas mit der eigenen Forschungsarbeit zu tun – der Doktorand bleibt inhaltlich nah am Thema.

Externe Promovenden haben es schwerer. Sie finanzieren sich mit Jobs, die oft nichts mit ihrer Promotion zu tun haben. In der Zeit, die ihnen bleibt, müssen sie die Kraft und Motivation aufbringen, an ihrer Dissertation zu feilen. „Aber auch das kann gelingen, wenn man sich selbst gut strukturieren kann“, sagt Ruhl.

Manuel Marks hat inzwischen einen Job gefunden. Das Lebensprojekt Dissertation will er unbedingt zu Ende bringen. „Ans Aufgeben habe ich nie ernsthaft gedacht“, sagt er. Dafür nimmt er die Doppelbelastung in Kauf. Wenn alles gut geht, wird seine Dissertation im Sommer fertig sein.

Von unserem Redakteur Stefan Hantzschmann

*Name geändert