Im Aufwind: RZ-Reporterin testet die Faszination des Segelfliegens [mit Video]

Unsere Reporterin Sabrina Rödder in der roten Husky. Die Maschine zieht Segelflugzeuge im Minutentakt in die Höhe.
Unsere Reporterin Sabrina Rödder in der roten Husky. Die Maschine zieht Segelflugzeuge im Minutentakt in die Höhe. Foto: Sabrina Rödder

Für viele ist es ein Traum, einmal wie ein Vogel in Richtung Sonne zu fliegen – mit einem Segelflugzeug gar kein 
Problem. Überall in unserer Region gibt es kleine Flugplätze, wo dieser Traum wahr wird. Piloten nehmen Neugierige, die einmal selbst Höhenluft schnuppern wollen, gern mit. Auch wir gingen in die Luft.

Lesezeit: 6 Minuten
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Von unserer Reporterin Sabrina Rödder

Der Hals kratzt, die Nase ist verstopft, und auf den Ohren habe ich Druck – bei einer Erkältung ist das nichts Besonderes. Doch die Grippe hat mich nicht erwischt. Meine Zähne zermalmen den weißen Kautschuk, der langsam an Geschmack verliert. Doch der Druck will nicht nachlassen – meine Gehörgänge sind verstopft. Trotzdem höre ich ein Rauschen – das Rauschen des Windes draußen. Da bewegt sich der lederne Steuerknüppel, den meine Finger umschließen: Wie von Geisterhand gleitet er von rechts nach links, dann vorsichtig nach hinten. Unter der Plexiglashaube staut sich die Hitze. „Alles okay?“ „Hm, jaja“, antworte ich. Noch einige Höhenmeter, dann würden wir die rote Husky nicht mehr brauchen: Der Mann vor mir spricht per Funk mit einer männlichen Stimme. Dann ist die D-1208 bereit zum Abklinken. D-1208: Das sind Markus Schmidt und ich – in einem Segelflieger des Segelflugclubs (SFC) Betzdorf-Kirchen im Westerwald.

Minuten zuvor berühren unsere Schuhsohlen noch die Grasnarbe. Der 66-Jährige und ich: zwei Menschen, die auf dem Wingendorfer Flugplatz auf Augenhöhe weilen. Keiner von uns beiden ist auf den anderen angewiesen. Der Hobbypilot aus Betzdorf hebt seine linke Hand, winkt einen Kollegen zu sich. Nach dem Vieraugenprinzip möchte er den letzten Check am Flugzeug machen. Der Hinzugerufene wirbelt um den Flieger, wackelt an Flugzeugteilen: „Höhenruder?“ „Neutral!“ „Seitenruder?“ „Neutral!“ „Landekappen?“ „Verriegelt!“ Der Wetterfrosch hat für den heutigen Samstag Sonne mit Temperaturen um die 25 Grad angekündigt. Markus blinzelt nach oben. Ihn interessieren auch die Wolken. Bei der Ausbildung zum Segelpiloten mit 17 Jahren lernte er, wie er sich seine eigene kleine Wettervorhersage macht. „Aha. Eine Wolkenstraße haben wir heute.“ Ob das gut oder schlecht ist, kann ich nicht beurteilen. Ich sehe am Himmel nur einen Mischmasch aus weißen Flecken und blauen Lücken.

Wer aus dem Cockpit eines Segelflugzeugs auf die Welt schaut, blickt durch milchiges Plexiglas. Das Ergebnis: ein aufregendes Lichtspiel, das sich in mehr als 1000 Meter Höhe entfaltet. Unsere Reporterin ist mit Pilot Markus Schmidt über den Westerwald geflogen – ein einzigartiges Erlebnis.
Wer aus dem Cockpit eines Segelflugzeugs auf die Welt schaut, blickt durch milchiges Plexiglas. Das Ergebnis: ein aufregendes Lichtspiel, das sich in mehr als 1000 Meter Höhe entfaltet. Unsere Reporterin ist mit Pilot Markus Schmidt über den Westerwald geflogen – ein einzigartiges Erlebnis.
Foto: Sabrina Rödder

So ein weißer Fleck – eine Wolke eben – könnte zu unserem Feind werden, wenn sie uns in sich hineinzieht. Aber dann würde uns der Pilot schon retten, indem er die Bremsklappen an den Flügeln ausfährt. Doch nicht nur die weißen Flecken, sondern auch andere Segelflieger könnten zu unseren Gegnern werden. Und zwar dann, wenn wir mit ihnen zusammenkrachen. Markus klopft gegen die Plexiglashaube über uns, erklärt ganz locker und ruhig, dass er diese bei einer Kollision abwerfen und das Flugzeug so lange halten würde, bis der Kopilot raus ist – also, bis ich aus 1500 Meter Höhe den freien Fall gewagt habe. Alles kein Problem, meint der Hobbypilot, der als Kind Modelflugzeuge selbst entworfen hat: „Wir haben ja Fallschirme auf unseren Rücken, die von allein aufgehen, wenn wir springen.“ Wenn wir Glück haben, denke ich, würden wir auf dem Sportplatz landen, der gerade unter uns ist. In der 65-jährigen Vereinsgeschichte gab es glücklicherweise nur kleine Zwischenfälle – 2011 ist beispielsweise ein Segler in Bäumen hängen geblieben: Die Insassin wurde nicht verletzt, der Flieger aber ziemlich beschädigt.

Auf der Ebene der Lebewesen zu Land herrscht zuvor Trubel: „Armin, ist das 'ne alte Klemm? Will die hier landen?“, fragt Markus den Klubvorsitzenden und zeigt nach oben, „der ist genau in der Platzrunde drin!“ „Stimmt, der kütt!“ Markus schnappt sich einen Apparat, der aussieht wie ein altes, viel zu großes Handy, und dreht an einem Knopf. Doch das Funkgerät antwortet ihm nur mit einem Knistern. Der Tower hat bereits Kontakt mit dem vermeintlichen Oldtimer aufgenommen. Da setzt das fremde Motorflugzeug zur Landung an. Das Einzugsgebiet für Mitglieder des Clubs reicht 50 Kilometer weit – bekannte Piloten sind diese hier aber nicht. Mitglieder des SFC wirbeln um das weinrote Flugzeug herum. Die beiden Piloten aus Aachen erklären: Ihr Flugzeug ist ein Nachbau einer Klemm 25 D aus den 1930er-Jahren. Nach einer Rast zieht der historische Zugvogel weiter.

Das Lichtspiel, das Wolkenbild, die Wetterlage: In der Höhe sieht alles anders aus. Schöner. Aufregender. Immer wieder frage ich, welcher Ort gerade zu unseren Füßen liegt. Ist es Altenkirchen? Oder Montabaur? Vielleicht doch schon Koblenz? Der Stegskopf in Emmerzhausen könnte es auch sein, denn seitdem er kein militärisches Sperrgebiet mehr ist, dürfen Flugzeuge auch hier drüberfliegen. Markus, der Kompass, weiß, wo wir sind: Unter uns ist noch Betzdorf. Er fliegt im Kreis. Der rechte Flügel zeigt gefühlt senkrecht nach unten, der linke nach oben. Nur so können wir mit der 20 Meter breiten Maschine weiter steigen. Warum denn noch höher? Das motorisierte Huskyflugzeug hat uns doch schon auf über 800 Meter Höhe gezogen.

Ich werde stiller, muss mich konzentrieren, dass mir nicht noch mulmiger wird. Die Stimme vor mir sagt, dass ich bloß nicht nach links schauen soll. Zu spät. Der Himmel dreht sich wie ein Kreisel um uns. Auch die Zeiger vor mir drehen sich – es sind nicht die einer Uhr, sondern die eines Variometers. Wo eine halbe Stunde vorher noch Nullen leuchteten, erscheint jetzt eine Eins – wir sind einen Kilometer über dem Erdboden. Ich erinnere mich, was mir Markus vor dem Start erklärt hat: Über dem Flugplatz dürfen wir höchstens 1650 Meter hochfliegen, weil wir uns in der Einflugschneise des Flughafens Köln/ Bonn befinden. Und weiter draußen werden wir uns heute auch nicht auf mehr als 3500 Meter Höhe begeben. Ohne Sauerstoffflasche würden wir das nicht lange aushalten.

Unten in den Parkbuchten des Flugplatzes stehen SUV mit ihren Anhängern, um Segelflieger zu transportieren. Der Club besitzt drei Motor- und acht Segelflugzeuge. 15 der 154 Mitglieder haben ihre eigene Maschine, die gebraucht schon ab circa 15 000 Euro zu haben ist. Die anderen Mitglieder leihen sich eine. Diese Freizeitbeschäftigung muss also nicht unerschwinglich sein. Dass viele Leute meinen, Segelfliegen sei ein Elitehobby für Zahnärzte und Fabrikbesitzer, kann Markus nicht verstehen. Denn ganz im Gegenteil: Das Segelfliegen zieht sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen durch alle Berufsschichten. Die ältesten Mitglieder sind 75, die jüngsten 14. Der SFC Betzdorf-Kirchen hat zurzeit sieben Flugschüler. Die Menschen hier sind durch ihre Liebe zum Fliegen vereint: „Über den Wolken kann man alles vergessen“, sagt Industriedesigner Markus. Nach 15 Flugstunden, einigen Theorieeinheiten und knapp 1500 Euro hat man den Pilotenschein in der Tasche – die Kosten sind vergleichbar mit denen, die bezahlt werden müssen, um einen SUV fahren zu dürfen.

„Ready for Take-off“: Pilot Markus Schmidt hat vor 50 Jahren seinen Segelflugschein gemacht.
„Ready for Take-off“: Pilot Markus Schmidt hat vor 50 Jahren seinen Segelflugschein gemacht.
Foto: Sabrina Rödder

Markus dreht sich mit seinem Hut auf dem Kopf zu mir nach hinten: „Bevor die Fahrerlaubnis der Klasse B ansteht, können Jugendliche den Rollerführerschein erwerben“, sagt er. „Schon mit 14 Jahren können Jugendliche im Segelflieger den ersten Alleinflug absolvieren und mit 16 den Pilotenschein machen. Frag doch mal die Kids, was cooler ist: Rollerfahren oder Segelfliegen?“

Da entdecken wir vor uns zwei Rotmilane. Mit dem Aufwind am Flugplatz steigen sie nach oben. Für kurze Zeit sind wir auf Augenhöhe mit den beiden. Gemeinsam gleiten wir einige Meter durch die Luft. Jetzt fühle ich mich frei – frei wie die beiden Milane. Um diesen einzigartigen Moment auf einem Foto festzuhalten, ist es schon zu spät. Wir setzen zur Landung an. Denn samstags ab 17 Uhr ruhen die Flugzeuge in Wingendorf für 45 Minuten, um die Messe in der Kirche nicht zu stören.

Sonst fliegen die Piloten je nach Wetter von März bis Oktober, immer samstags und sonntags, „von 10 Uhr morgens bis 20 Uhr Sunset“. Je näher wir dem Flugplatz kommen, desto lauter piepst plötzlich das Kollisionswarngerät: „Ganz normal“, beruhigt mich Markus, der mit elf Jahren das erste Mal im Segelflugzeug saß, „es registriert die anderen Flugzeuge unten auf dem Platz.“ Der Kaugummi in meinem Mund hat sich fast aufgelöst. Da merke ich ein Knacksen in den Ohren: Endlich kann ich wieder hören.