Burgherr ohne Furcht und Adel: Markus Hecher wohnt äußerst ungewöhnlich

Sogar ein Verlies gibt es auf Burg Rheinstein. Burgherr Markus 
Hecher musste aber noch niemanden inhaftieren. Ein Plastikskelett sorgt im Inneren für die Belustigung der Besucher. Das Leben als Burgherr ist abwechslungsreich und vielfältig – und stets bleibt der Blick aufs Geld.
Sogar ein Verlies gibt es auf Burg Rheinstein. Burgherr Markus 
Hecher musste aber noch niemanden inhaftieren. Ein Plastikskelett sorgt im Inneren für die Belustigung der Besucher. Das Leben als Burgherr ist abwechslungsreich und vielfältig – und stets bleibt der Blick aufs Geld. Foto: Silke Bauer

Hoch oben auf Burg Rheinstein lebt Markus Hecher mit seiner Familie. Seit 40 Jahren ist das Anwesen in Familienbesitz, durch die Gemäuer sind schon Geistliche und echte Prinzen gewandelt. Burgherr zu werden, ist nicht schwer, Burgherr zu sein dagegen sehr, verrät Hecher zum Auftakt unser neuen großen Sommerserie.

Lesezeit: 7 Minuten
Anzeige

Von unserer Reporterin Silke Bauer

In Markus Hechers Garten liegen drei Leichen. Vater, Mutter, Sohn. Sie haben früher hier gewohnt. Nun herrscht der 56-jährige Hecher über Burg Rheinstein in Trechtingshausen (Kreis Mainz-Bingen). Vollkommen legal. „Das ist die einzige Gruft auf einer Mittelrheinburg“, erzählt er lächelnd und zeigt zwischen eisernen Gitterstäben hindurch auf die Holzsärge von Prinz Friedrich von Preußen, Prinzessin Luise und Prinz Georg, deren bloße Anwesenheit bei den Touristen regelmäßig für wohlige Schauer sorgt. Doch gespukt habe es hier oben noch nicht, behauptet Hecher. „Ich sage den Besuchern immer: ,Ich bin seit 1763 hier und habe noch nichts Übernatürliches erlebt’“, scherzt er.

Tatsächlich lebt Markus Hecher erst seit 1982 auf Burg Rheinstein. Sein Vater, der Tiroler Opernsänger Hermann Hecher, kaufte das 700 Jahre alte Gemäuer im Jahr 1975 von Barbara, Herzogin von Mecklenburg, der letzten Eigentümerin aus dem Hause Preußen. Hecher war damals nicht der einzige Interessent, auch eine Gruppe Hare-Krishna-Mönche, die mit Rauschgifthandel zu Geld gekommen war, wollte die Burg kaufen und bot deutlich mehr, als Hermann Hecher bezahlen konnte. „Die Leute waren geschockt“, erinnert sich Hecher. „Das war ein Riesenthema, sogar die Politik hat sich eingeschaltet.“ Die Landesregierung setzte sich für Hecher als Käufer ein, die Herzogin gab den Zuschlag, und Hecher war auf einmal Burgherr.

Für Partys ungeeignet

Sein damals 16 Jahre alter Sohn Markus war entsetzt über den Kauf. „Ich fand das gar nicht gut“, erzählt er. „Es war ja November und somit alles trist und grau, und die Wege waren in einem wirklich schlimmen Zustand. Die Burg war verfallen und hat auf mich einen deprimierenden Eindruck gemacht. Aus dem Ritterspielalter ist man mit 16 ja raus.“ Den Jugendlichen ärgert es, dass er mit seinem Moped nicht den steilen Fußweg zur Burg hochkommt. Stattdessen muss er den uralten Traktor nehmen, der mit einer Handkurbel angetrieben wird. Auch für Partys eignet sich die Burg nur bedingt: „Ich konnte da oben ja noch nicht mal eine Stereoanlage anschließen.“ „Für meinen Vater war am Anfang gar nicht überschaubar, was alles auf ihn zukommen würde.“ Der junge Hecher distanziert sich von der Entscheidung seiner Eltern und lebt erst einmal sein eigenes Leben, schließt seine Ausbildung zum Hotelfachwirt ab, absolviert ein Studium.

Die Burg scheint einem uralten Märchen entsprungen zu sein.

Silke Bauer

Im Burggarten riecht es wunderbar nach Lavendel und Flieder.

Silke Bauer

Der Rhein ist stets gegenwärtig.

Silke Bauer

Sie sieht umwerfend aus, doch natürlich verursacht so eine Burg jede Menge Arbeit und Kosten. Kaum ist eine Ecke saniert, bröckelt woanders der Putz von den Wänden.

Silke Bauer

Burgherr Markus Hecher im Rosengarten. Seine Frau Cornelia hat den grünen Daumen, erzählt er.

Silke Bauer

Wie es sich für ein Märchenschloss ziemt, gibt es auf Burg Rheinstein einen Glücksbrunnen, in den die Besucher Münzen werfen und sich dabei etwas wünschen.

Silke Bauer

Für solche Anblicke kommen die Touristen in Scharen nach Trechtingshausen.

Silke Bauer

Prinz Friedrich von Preußen, der die Burg im 19. Jahrhundert als Sommerresidenz nutzte, hatte Freude an der Jagd und an mittelalterlich anmutenden Rüstungen.

Silke Bauer

Die romantische Atmosphäre zieht Verliebte an. Viele Paare heiraten standesamtlich auf der Burg.

Silke Bauer

Diese Ritterrüstungen ließ der frühere Burgherr Prinz Friedrich von Preußen für Dekozwecke nachbilden. Sie bewachen nun die Knappenhalle der Burg.

Silke Bauer

Doch der Vater macht Druck, will, dass der Sohn zurückkommt und Verantwortung für Burg Rheinstein übernimmt. „Das war eine autoritäre Erziehung damals, da hat man gehorcht“, sagt er. Hechers private Situation hatte sich zudem geändert: Anfang der 80er-Jahre lernt er seine Ehefrau Cornelia kennen, die er 1982 heiratet. Auf Burg Rheinstein. „Das war dann der Schritt, um es zu wagen“, erzählt er. Das junge Paar zieht in eine separate Wohnung im Eingangsbereich der Anlage, wo es die beiden Kinder großzieht und auch heute noch lebt. „Meine Frau kommt aus Koblenz, das war für sie natürlich eine Umstellung, auf die Burg zu ziehen und hier so isoliert zu wohnen. Ich hätte auch verstanden, wenn sie damals gesagt hätte: ,Das ist nichts für mich’.“ Hechers Eltern haben eigene Räume in der Burg. Die beiden Generationen raufen sich zusammen und entwickeln ein gemeinsames Konzept: Hermann Hecher kümmert sich um den Museumsbetrieb, Markus und Cornelia Hecher eröffnen ein kleines Restaurant und organisieren Konzerte, Hochzeiten und Familienfeiern auf der Burg.

Dort wackelt, knarzt und tropft es an allen Ecken. Familie Hecher wird von Anfang an von der Denkmalpflege unterstützt und muss vieles sanieren lassen. Kein Wunder bei einem Gebäude, das im Jahr 1316 errichtet wurde. Bis ins 17. Jahrhundert ist die Burg im Besitz des Erzbistums Mainz. Zwei Jahrhunderte lang steht sie leer und bröckelt vor sich hin, bis sich Prinz Friedrich, der als Kommandeur bei der Rheinprovinz tätig ist, im 19. Jahrhundert auf der Suche nach einer Sommerresidenz in die Ruine hoch über dem Rhein verliebt. Die Reichen und Schönen der Romantik verklären damals das Mittelalter, und so krempeln Prinz Friedrichs Arbeiter die Ärmel hoch und bauen die Burg wieder vollständig auf. Der Prinz hat hohe Ansprüche: Die neue Version soll viel prunkvoller werden als das Original. Eine eigene kleine Kapelle, Sandsteinverzierungen an den Außenwänden, Türmchen, Treppchen, Terrassen und plätschernde Springbrunnen erfreuen die adligen Augen und Ohren. Friedrich sammelt mittelalterliche Buntglasfenster, die er diversen Klöstern abkauft und in der Burg einbauen lässt. „Ob das alles so lupenrein war, bezweifle ich“, sagt der heutige Burgherr. Damit das Mittelalterflair perfekt ist, müssen die Diener des Prinzen in zeitgemäßen Gewändern durch die Gänge eilen, die von nachgebauten Ritterrüstungen flankiert werden. „Die Burg war für die Familie ein kleines Versteck, eine Art Traumwelt, in der Revolutionen und andere Bedrohungen nicht vorkamen“, sagt Hecher. Während nicht allzu weit weg auf dem Hambacher Schloss wütende Bürgerliche ihre Parolen brüllen, genießt man auf Burg Rheinstein Musikstunden und Lesungen und trinkt dazu englischen Tee. Prinz Friedrich vergnügt sich zudem gern auf der Jagd, wie noch heute zahlreiche Hirschgeweihe an den Wänden beweisen.

Die Burg als Arbeitsplatz

Solcherlei Müßiggang kann sich Markus Hecher nicht leisten: „Ich liebe das Leben hier oben und die Atmosphäre. Aber ich finde hier keine Entspannung. Die Burg ist mein Arbeitsplatz. Ich kann mich nicht in den Garten setzen und ausruhen. Dann schweift nur mein Blick umher, und mir fällt auf, dass die Blumen mal wieder Wasser bräuchten.“ Das Ehepaar steht um 6 Uhr auf und macht als Erstes einen Rundgang durch die Burg, schließt die Räume für die Besucher auf. Dann geht es ins Büro zum E-Mail-Check. Um 9.30 Uhr öffnet die Burg samt Burgladen, dreimal pro Woche kommt eine Aushilfe, ansonsten verkaufen Hechers selbst Tickets, Eiscreme und Infoheftchen. Von einem der Burgfenster aus blickt man auf eine Schiffsanlegestelle, manchmal kommen drei Schulklassen auf einmal an Land, die betreut werden müssen. Abends wird geputzt und aufgeräumt, irgendwer lässt immer Müll rumliegen. Regelmäßig finden hier Feiern statt, die Burg ist vor allem bei Brautpaaren sehr beliebt.

Die Sanierungsarbeiten enden nie. Kaum ist eine Ecke wieder in Schuss, schwächelt es anderswo. „Wir haben ja eine eigene Quelle für die Wasserversorgung, und da war erst vergangene Woche ein Filter undicht“, berichtet Hecher. Auch die Kapelle weist ständig Schäden auf, „das ist unser eigener kleiner Kölner Dom“, grinst der Burgherr. Die Finanzierung steht auf zwei Säulen. Zum einen gibt es die laufenden Kosten, die Hecher allein stemmt. Zwischen 130 000 und 140 000 Euro sind das im Jahr. Eine eigene Kasse gibt es für Sanierungen. Hier wird Hecher von Land und Förderverein unterstützt. In den vergangenen 40 Jahren sind mehrere Millionen Euro für Renovierungen verwendet worden.

Die Eheleute sind gut zu Fuß. Da es keinen direkten Anfahrtsweg zur Burg gibt, müssen sie mehrmals täglich den steilen Fußweg vom Parkplatz zur Anlage hoch- und runterlaufen. Unten hängt ein grauer Briefkasten, so bleibt wenigstens der Postbote vom Aufstieg verschont. Im Winter muss Familie Hecher den Weg selbst räumen und streuen. Einkäufe transportieren sie entweder mit ihrem kleinen Traktor oder der Monorackbahn. Dieses Gefährt, das gern von Steillagenwinzern genutzt wird, schlängelt sich durch den kleinen burgeigenen Weinberg und macht oben direkt vor dem Restaurant „Kleiner Weinprinz“ halt, das von Hechers Sohn Marco und dessen Ehefrau betrieben wird.

Noch sind Markus Hecher und seine Frau in einem Alter, in dem die Strapazen gut zu bewältigen sind. Doch für Hecher ist schon jetzt klar: „Das mach' ich nicht, bis ich 80 oder 90 bin.“ Die beiden wollen später nach Bingen ziehen und dort in einer Wohnung leben. Der Sohn soll einmal alles übernehmen. „Dann darf ich bestimmt mal kommen und mithelfen“, sagt Hecher schmunzelnd. Das Loslassen wird ihm dann sicher nicht ganz leichtfallen. Doch ihn tröstet der Gedanke, dass er seine Pflicht bis jetzt sehr gut erfüllt hat: die Burg für die Nachwelt zu erhalten.

Unterm Strich

In Rheinland-Pfalz gibt es laut Ebidat – der Burgendatenbank des Europäischen Burgeninstitutes – 804 Burgen. Die meisten befinden sich laut Rüdiger Mertens (Deutsche Burgenvereinigung e.V.) in Privatbesitz. „Viele sagen, es wäre besser, die Burgen dem Staat zu überlassen, damit sie für die Öffentlichkeit zugänglich sind“, sagt Mertens. „Doch die Kosten für Unterhalt und Sanierung sind so enorm hoch, dass der Staat froh ist, wenn Privatleute für den Erhalt sorgen. Die meisten Besitzer öffnen ihre Burgen sowieso.“
Burg Rheinstein zählt zu den eindrucksvollsten Kulturdenkmälern am Mittelrhein und wird von einem Förderverein unterstützt. Mehr Infos gibt es unter www.burg-rheinstein.de oder unter Telefon 06721/6348.