Berlin

Verzweifelte Suche nach anderen Wahrheiten – Vater des Germanwings-Co-Piloten lud zur Pressekonferenz

Von Rena Lehmann
Während die Angehörigen der Opfer in Haltern und am Absturzort der Germanwings-Maschine trauern, zweifelt Günter Lubitz in Berlin öffentlichkeitswirksam an der Schuld des Co-Piloten – seines Sohnes Andreas.
Während die Angehörigen der Opfer in Haltern und am Absturzort der Germanwings-Maschine trauern, zweifelt Günter Lubitz in Berlin öffentlichkeitswirksam an der Schuld des Co-Piloten – seines Sohnes Andreas. Foto: dpa

Vor zwei Jahren zerschellt die Germanwings-Maschine Flug 4U9525 auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf in den südfranzösischen Alpen. Co-Pilot Andreas Lubitz soll das Flugzeug absichtlich in den Sinkflug gesteuert und damit sich und alle Passagiere getötet haben. Während sich die Angehörigen der 149 Passagiere und Crewmitglieder zum Gedenken an die Opfer meistenteils in Frankreich versammeln, kämpft der Vater des Co-Piloten Andreas Lubitz in Berlin um das Andenken seines Sohnes. Der Vater ist noch immer „auf der Suche nach der Wahrheit“. Die Pressekonferenz gerät zu einem teils bizarren Auftritt.

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Schon vorab war die Wahl des sensiblen Termins für seine Erklärung kritisiert worden. Angehörige und ihre Anwälte hatten das Vorgehen als pietätlos bezeichnet. Zur Pressekonferenz waren nur angemeldete Medien zugelassen. Auf Liveübertragungen sollte verzichtet werden, es gab sie dann aber doch. Etwa 20 Kamera- und Fototeams warten im Saal in der Friedrichstraße auf Lubitz‘ Auftritt. Mehr als 50 Journalisten sind im Saal, um 10.30 Uhr soll die Veranstaltung beginnen, von der sich viele im Saal fragen, was der Vater sich von ihr verspricht. Viele Sicherheitsleute sind im Einsatz, der Wunsch nach einem geordneten Ablauf wird allzu deutlich. Um 10.45 Uhr stürzt Flugexperte Tim von Beveren, der für Lubitz arbeitet, in den Saal und herrscht die Kameraleute an. „Sie können sich noch mal hinsetzen, es geht erst in zehn Minuten los.“ Die Atmosphäre ist gereizt.

Für Vater Günter Lubitz aus Montabaur, 63, technischer Leiter bei einem Schweizer Glasflaschenhersteller, ist es in mehrfacher Hinsicht ein schwieriger Auftritt. Kurz nach Bekanntwerden der ersten Details zu dem Absturz im März 2015 belagern Boulevardmedien wochenlang sein Wohnhaus, Privatsphäre gibt es für die Familie nicht mehr, sie wird teils absichtlich grob verletzt. Nun aber sucht er selbst die Öffentlichkeit, er braucht sie, um sein Anliegen voranzubringen: Die Absturzursache soll noch einmal ermittelt werden.

Um 10.50 Uhr betritt Lubitz mit seinen Mitstreitern den Konferenzsaal. Minutenlang sind die Kameras auf ihn gerichtet. Schwer zu ergründen, was in ihm vorgeht. Er trägt einen dunklen Anzug, hellgraue Krawatte, randlose Brille. Sein Blick ist ruhig. Es ist keine Pressekonferenz wie jede andere. Moderator Hans-Joachim Rüdel fordert die Journalisten gleich mehrfach auf, nur zu den Ergebnissen des Flugexperten van Beveren Fragen zu stellen. Es ist bei Pressekonferenzen unüblich, auf die Fragen der Journalisten Einfluss nehmen zu wollen. Der Moderator sagt, Lubitz habe keine Routine mit solchen Veranstaltungen. „Er hat nur Routine darin, sich zu verstecken, beleidigt zu werden, nicht gehört zu werden.“ Er hoffe, dass die Pressekonferenz „ein bisschen eine andere Nachdenklichkeit bringt auf die Ereignisse“.

Dann spricht Lubitz selbst. Er liest seine Erklärung vom Blatt ab, es klingt, als habe er das vorher oft geübt, es klingt förmlich. Er habe diesen Tag „nicht gewählt, um Angehörige zu verletzen, sondern um Gehör zu finden“. „Seit zwei Jahren geht es mir wie allen anderen Angehörigen. Ich stehe fassungslos den Ereignissen gegenüber.“ Dafür gibt es, so sagt er „keine Worte und keinen Trost“. Er hält kurz inne, es fällt ihm für einen Moment erkennbar schwer weiterzusprechen.

Dann beginnt seine Verteidigung. Er habe nicht nur seinen Sohn verloren, sondern müsse damit leben, dass bereits zwei Tage nach dem Unglück feststand, dass sein Sohn der Schuldige ist. „Wir müssen damit leben, dass er als Massenmörder tituliert wird“, sagt Lubitz. „Wir müssen damit leben, dass er immer wieder erwähnt wird, wenn es um solche Taten geht.“ Für den Vater aber ist klar, „dass sein Sohn nicht an Depressionen litt“, wie von den Ermittlern behauptet wird. Er hält es für falsch, dass „seine häufigen Arztbesuche wegen seines Augenleidens gleich als Hilferuf eines Depressiven“ gesehen wurden. Sein Sohn sei zwar 2009 wegen einer Depression in Behandlung gewesen, habe aber geheilt werden und anschließend seine Pilotenausbildung beenden können. „Ich habe ihn in den sechs Jahren vor dem Absturz als lebensbejahenden und verantwortungsvollen Menschen erlebt“, sagt Lubitz. „Wir sind wie alle auf der Suche nach Antworten.“ Damit endet seine Erklärung.

Viel Näheres erfährt man von ihm auch in dieser Pressekonferenz nicht über seinen Sohn. Auch auf spätere Nachfragen der Journalisten gibt er nicht mehr preis. Warum sein Sohn am 24. März die Maschine flog, obwohl er krankgeschrieben war? „Wie Sie wissen, hat er in Düsseldorf gewohnt. Er hat mich nicht informiert, dass er krankgeschrieben ist. Ich kann dazu nichts sagen“, erklärt Lubitz. Der Vater will erkennbar die Privatsphäre der Familie schützen, bleibt dabei aber auch Antworten schuldig, die seinen Sohn vielleicht in ein anderes Licht rücken könnten. So wirkt der Auftritt seltsam kühl und distanziert.

Flugunfallexperte Tim van Beveren
Flugunfallexperte Tim van Beveren
Foto: dpa
Aber das Hauptaugenmerk der Journalisten soll seinem Wunsch nach ohnehin auf den nun folgenden Ausführungen des Flugexperten Tim van Beveren liegen. Der Mann ist im Gegensatz zu Lubitz ein Medienprofi. „Mein Thema ist Luftfahrt. Ich habe Bücher geschrieben und Fernsehbeiträge gemacht“, mit diesen Worten stellt er sich vor. Sein Telefon habe nach dem Absturz der Germanwings-Maschine nicht mehr stillgestanden. Van Beveren hat im Auftrag der Familie die 20.000 Seiten Ermittlungsakten durchleuchtet und ein eigenes Gutachten erstellt. Misstrauisch hätte ihn schon die Schnelligkeit der Ermittler gemacht. „Fluguntersuchungen sind aufwendig, sie dauern oft Jahre. Für den französischen Staatsanwalt Robin war die Sache nach 48 Stunden geklärt. „Etwas Vergleichbares habe ich noch nie erlebt.“ Zahlreiche Ungereimtheiten will er in den Ermittlungen ausgemacht haben. Zu einem viel zu frühen Zeitpunkt habe Brice Robin Angaben dazu gemacht, was im Cockpit passiert sein soll. Ein französischer Beamter hat etwa zu Protokoll gegeben, dass bis zum Aufprall Atemgeräusche im Cockpit zu hören waren, „man jedoch nicht sicher sei, welche Person im Cockpit gesessen habe“. Im zusammenfassenden Protokoll der Voruntersuchung der französischen Gendarmerie hieß es außerdem, dass „nicht nachzuweisen war, ob er auch bei Bewusstsein war.“ Van Beveren hat eine Liste solcher Ungereimtheiten. Er wirft den Ermittlern vor, schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt nur noch in eine Richtung ermittelt zu haben. Starke Beweise für einen anderen Unfallhergang kann er allerdings nicht präsentieren.

Er wirft den Ermittlern etwa vor, dass die Aufzeichnungen des Stimmrekorders, der die Geräusche im Cockpit aufzeichnet, lediglich von Ingenieuren, nicht aber von einem psychologisch Geschulten, sogenannten Human-Factor-Spezialisten ausgewertet wurden. Aus weiteren Aufzeichnungen geht hervor, dass technisch widersprüchliche Angaben gemacht wurden. So konnte offenbar nicht nachgewiesen werden, dass die Tür absichtlich von innen verriegelt gehalten wurde. Ihm sei bekannt, dass es mit den Schließmechanismen schon vorher Probleme gegeben habe und dies unter Crew-Mitgliedern bekannt sei, führt van Beveren aus.

Es klingt mal nach Verschwörungstheorie, mal nach bloßer Spitzfindigkeit, manchmal denkt man, da könnte doch was dran sein. Zwischendrin führt van Beveren dann auch das Wetter als möglichen Verursacher eines Unfalls an, am Tag des Absturzes habe es schließlich Luftlöcher gegeben. Piloten würden in solchen Fällen eine niedrigere Flughöhe wählen, daher der eingeleitete Sinkflug. Manchmal wird es aber gar zu abseitig: Die deutschen Behörden hätten die Akten nicht chronologisch abgeheftet, der Staatsanwalt hätte keine eigene Kopie des Stimmrekorders erhalten, sondern lediglich Protokolle. Macht das wirklich einen entscheidenden Unterschied?

Dass ein drittes iPad von Andreas Lubitz erst später gefunden wurde und die verdächtigen Suchbegriffe wie „Cockpittür“ und „Depression“ enthielt, lässt van Beveren schlussfolgern: „Es lieferte den Beamten das, was sie bis heute nicht haben: ein Motiv.“ Er wirft damit den Verdacht in den Raum, es könnte absichtlich Beweismaterial manipuliert worden sein. Auch Andreas Lubitz habe das Recht, solange als unschuldig zu gelten bis seine Schuld eindeutig bewiesen ist, sagt van Beveren. „Es gibt einen solchen Beweis nicht“, meint er abschließend.

Als Lubitz und van Beveren gefragt werden, ob sie Andreas Lubitz für unschuldig halten, winden sich beide um eine klare Antwort. „Mit diesem Gutachten sind wir auf der Suche nach der Wahrheit“, sagt Lubitz nur. Van Beveren meint: „Man kann nicht so einfach sagen, er ist schuldig.“ Gegen Ende der Veranstaltung wird auf der Bühne ein Porträt gezeigt von Andreas Lubitz. Ein freundlich lächelnder junger Mann ist darauf zu sehen, am Rand eine Trauerschleife. Es hat wohl seine Familie ausgewählt. So möchte sie ihn in Erinnerung behalten können.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann