RZ-KOMMENTAR: Was Günter Grass auch hätte sagen müssen

Keine Frage, Günter Grass hat mit seinem Gedicht kein literarisches Meisterwerk geschaffen, nicht einmal ein politisches. Die wenigen Zeilen sind weder von der Form noch vom Inhalt her eines Nobelpreisträgers würdig.

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Aber so bedauernswert Grass' lyrische Einlassungen sind, so unrühmlich sind auch viele Reaktionen auf die grantigen Worte des Schriftstellers. Ganz zuvorderst das Einreiseverbot, das nun der israelische Innenminister Eli Jischai gegen den Schöpfer der „Blechtrommel“ verhängt. Ist dies das neue Selbstverständnis der israelischen Demokratie, die sich so gern als westlicher Leuchtturm im Dunkel arabischer Despotien bezeichnet?

Ähnlich daneben sind all die Attacken auf Grass, die den querköpfigen Literaten als „Antisemiten“ abqualifizieren und platt auf seine Vergangenheit in Hitlers Waffen-SS anspielen. Die reflexhaften Reaktionen am Rande der Hysterie erschweren, nein, verhindern, jede ernsthafte Debatte.

Bei all dem darf aber nicht übersehen werden, dass Grass den Friedensbewegten in Israel und anderswo einen Bärendienst erwiesen hat. Er hätte (was er wohl einsieht) niemals pauschal Israel an sich als Gefahr für den Weltfrieden bezeichnen dürfen. Wenn überhaupt, dann das rechtsgerichtete Kabinett unter Benjamin Netanjahu, das den Siedlungsbau in den Palästinensergebieten gnadenlos forciert und drauf und dran ist, militärisch gegen die iranischen Atomanlagen loszuschlagen. Grass hat zudem ignoriert, wie groß die Bedrohung durch den Iran in der israelischen Gesellschaft empfunden wird. Und letztlich fehlten in dem Gedicht des störrischen Schriftstellers ein paar Strophen, in denen von all den Hasstiraden die Rede ist, in denen der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Vernichtung Israels beschwört. Auch das hätte „mal gesagt werden müssen“, wie Grass sich ausdrückte. Schließlich ist der Grass'sche Impuls nicht mal besonders intelligent. Denn seit geraumer Zeit stabilisieren sich die iranischen und die israelischen Hardliner gegenseitig. Das allgegenwärtige Bedrohungsszenario sichert ihre Macht und lenkt von innenpolitischen Problemen ab. Grass hat dieses Gleichgewicht des Schreckens eher zementiert als aufgebrochen. Wenn er mit seinen provokanten Thesen etwas bewegen wollte, ist ihm das gründlich misslungen.

Dabei wäre es höchst sinnvoll, etwas intensiver darüber zu diskutieren, was gerade im nahöstlichen Raum geschieht. Ein israelischer Militärschlag gegen den Iran könnte tatsächlich unkalkulierbare Folgen haben. Der Iran ist ein gefährlicher Gegner. Zudem stellt sich die Frage: Ist es auf Dauer überhaupt möglich, die Ausbreitung von Atomwaffen – auch in fragwürdigen Regimes – zu verhindern? Ein Rest an Vernunft hat selbst Schurkenstaaten wie Nordkorea bisher davon abgehalten, ein nukleares Inferno zu entfachen. Wäre das beim Iran wirklich anders? Über dieses Szenario sollte die Welt streiten. Und über die Gefahr eines Krieges in einer Region, die sich in einem machtvollen Aufbruch befindet. Doch stattdessen ereifern wir uns über die Worte eines alten Mannes, der zu dieser Debatte kaum mehr etwas Substanzielles beitragen kann.

Von Dietmar Brück