München

Kommt jetzt der Aufbruch? Gläubige in Deutschland hoffen auf Schwung für die katholische Kirche

Als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, mischte sich in den Jubel in seinem Heimatland auch Skepsis. Denn der Theologieprofessor aus Bayern hatte sich einen Ruf als konservativer Hardliner erworben. Viele Zweifler sahen sich in den folgenden Jahren bestätigt. Die katholische Kirche steckt in einer Dauerkrise. Der angekündigte Rücktritt des Papstes löst daher erneut gemischte Gefühle in seiner Heimat aus: große Überraschung, viel Respekt und Dank, etwas Ungewissheit und bei einigen wohl auch ein Stück Erleichterung.

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Wie sehr sich die Kirchenleitung vom Kirchenvolk in Deutschland entfremdet hat, zeigte zuletzt die Abweisung einer vergewaltigten Frau von katholischen Kliniken in Köln. Die rigide Sexualmoral, auch die Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung und Homosexualität, hat Papst Benedikt nicht infrage gestellt. Aber die meisten Katholiken lassen sich von der Kirche keine Intimvorschriften mehr machen. Auch das offizielle Kommunionverbot für wiederverheiratete Geschiedene wird in der Praxis oft umgangen.

Als es darum ging, den sexuellen Missbrauch vieler Kinder und Jugendlicher durch Geistliche aufzuklären, da beeindruckte Papst Benedikt anfangs durch klare Worte. Doch zuletzt wuchsen die Zweifel, ob die Kirche in Deutschland diesen Skandal wirklich rückhaltlos aufklären will. Sie löste jedenfalls den Vertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen.

Im Heimatland der Reformation hatte die Wahl eines deutschen Papstes Hoffnung auf mehr Ökumene geweckt. In seiner ersten Predigt als Papst nannte Benedikt XVI. die Einheit der christlichen Kirchen und den Dialog mit anderen Religionen als seine wichtigsten Aufgaben. Doch spätestens sein Deutschlandbesuch 2011 machte deutlich: Am Verbot gemeinsamer Kommunionfeiern von Katholiken und Protestanten würde er festhalten.

Auch die Laien stieß Benedikt vor den Kopf: Er bescheinigte den katholischen Laienverbänden und Gremien „einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist“. Dabei wäre die Kirche in Deutschland ohne das Engagement von Millionen Laien nicht in der Lage, mit dem massiven Priestermangel fertig zu werden. Für diese Nöte der Kirche in seiner Heimat hat Benedikt XVI. nach Meinung vieler Beobachter keine Lösung gefunden. Unklar bleibt auch das Verhältnis zu den ultrakonservativen Piusbrüdern, die jegliche Öffnung der Kirche ablehnen.

Der Papst ist ihnen weit entgegengekommen – nach Ansicht mancher Bischöfe auch in Deutschland zu weit. Das Ergebnis: Die Kirche hat sich ängstlich eingemauert in einer Frontstellung gegen die freiheitliche moderne Gesellschaft. Wer so denkt, der fühlt sich leicht verfolgt: Der Kölner Kardinal Joachim Meisner beklagte zuletzt eine „Katholikenphobie“ in der deutschen Gesellschaft.

Dabei gibt es in Deutschland immer noch 24 Millionen Katholiken und etwa gleich viele Protestanten. Die Volkskirche lebt. Der Rücktritt des deutschen Papstes könnte ihr mehr Luft zum Atmen verschaffen. Benedikts Nachfolger könnte mit einer Reform der Kurie und einer stärkeren Einbindung der Bischöfe der Riesenorganisation Schwung geben. Dass das Heiratsverbot für Priester gelockert wird oder Frauen Priester werden können – damit rechnet kaum jemand. Aber die Kirche könnte sich trotzdem aus der Defensive befreien. Mit einem nicht-europäischen Papst würde Deutschland zugleich ein Stück weit aus dem Zentrum der Amtskirche treten.

Von Bernward Loheide