Washington

Kommentar I: Amerika flüchtet sich ins Gestern

Unser USA-Korrespondent Thomas Spang kommentiert
Unser USA-Korrespondent Thomas Spang kommentiert Foto: Archiv

Sein Sieg schockt viele, Rechtskonservative jubeln: Donald Trump zieht ins Weiße Haus ein. „Erschreckend wie viele Menschen sich von dem Hass und der Hetze des Demagogen angesprochen fühlten“, kommentiert unser USA-Korrespondent Thomas Spang.

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Was nun? Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA versetzt das liberale Amerika und die westliche Welt in eine Schockstarre. Der größte anzunehmende Unfall in der Geschichte amerikanischer Präsidentschaftswahlen hat sich ereignet. Der böse Traum, in dem die Gespenster des Rassismus, Sexismus und Gier herumspukten, entpuppt sich als traurige Realität.

Mit der Entscheidung für den Rechtspopulisten gab die Mehrheit der Amerikaner ihren niedersten Instinkten nach. Sie wählten eine Zukunft, die auf Mauern und Massendeportation setzt – und einen engstirnigen Nationalismus, der so begrenzt ist wie dessen narzisstischer Führer.

Angst und Hetze

Erschreckend, wie viele Menschen sich von dem Hass und der Hetze des Demagogen angesprochen fühlten, der geschickt die Ängste der Globalisierung-Verlierer und weißen Männer ausbeutete. Diese gingen in Rekordzahl an die Urnen und stemmten sich der Welle an Latino-Wählern entgegen, die versucht hatten, einen Präsidenten Trump zu verhindern.

Das nicht einmal Demoskopen, die den Republikaner nahe stehen, die Intensität dieses Aufstands der Wutbürger kommen sahen, zeigt wie entkoppelt die Eliten in Washington vom Rest des Landes sind. Sie hatten schlicht keine Vorstellung von dem Leben der Gestrandeten der Globalisierung.

Dabei mangelte es nicht an Symptomen. Angefangen bei der Frustration, keine ordentlich bezahlten Jobs mehr zu finden über den Verfall der öffentlichen Infrastruktur bis hin zu der Opium-Krise, die das ländliche Amerika fest im Griff hat. Die Verunsicherung der weißen Männer, die mit ihrer Identität ringen, war mit Händen zu greifen.

Hillary Clinton trifft eine Mitschuld

Dass die Demokraten mit Hillary Clinton eine denkbar unbeliebte Kandidatin aufstellten, spielte Trump gewiss in die Hände. Zu Recht oder auch nicht stilisierte der Rechtspopulist Hillary zur Ikone des verachteten „Systems“. Und sie machte ihm dabei leichtes Spiel.

Ehemann Bill war es, der den Freihandel mit NAFTA entfesselte und das Zeitalter des Neoliberalismus einläutete. Sie selber verdiente sich mit klugen Reden an der Wall Street eine goldene Nase und verstärkte in der Email-Affäre den Eindruck, dass für „die da oben“ andere Regeln gelten.

Trumps Parole „Make America Great Again“ traf einen Nerv im ländlichen Amerika. Allen voran im sogenannten Rostgürtel der USA, der Trump zum Wahlsieg verhalf. Diese Region hat den Strukturwandel in Folge des Endes der alten Industriekultur nie richtig verkraftet.

Konsequenzen der entfesselten Kapitalströme

Die Menschen dort trafen die Konsequenzen der entfesselten Kapitalströme, der Zerschlagung der sozialen Netze, der Privatisierung öffentlicher Institutionen und der Zerfall der Infrastruktur härter als an den dynamischen Küsten der USA. Amerika sieht in seinem Inneren an vielen Orten wie ein Schwellenland aus.

Heerscharen weißer Männer, die früher in den Stahlwerken und Fabriken den amerikanischen Traum realisieren konnten, fühlen sich vergessen. Ihre Qualifikationen reichen nicht für die neuen Jobs. Statt sozialer Mobilität erleben sie Stillstand.

Deren Protest verwandelte sich über die Jahre zu Frust dann in Wut und an diesem Wahltag in Stimmen für einen Kandidaten, in dem viele die Verkörperung des ausgestreckten Mittelfingers gegen die Eliten in Washington und an der Wall Street sehen.

Es bleibt zu befürchten, dass Trump im Präsidentenamt dieselben Ressentiments mobilisieren wird, seine Macht im Weißen Haus zu konsolidieren. In der Wahlnacht gab er sich zunächst versöhnlich, gratulierte seiner unterlegenen Gegnerin zu einem hart ausgefochtenen Wahlkampf und rief die Nation zur Einheit auf.

Ob Trump das am Ende auch so meint, wie er es bei seiner nächtlichen Siegerrede sagte, wird sich daran festmachen lassen, ob er seine Opponentin strafrechtlich verfolgt. Die hasserfüllten „Sperrt sie ein“-Rufe des Wahlkampfs hallten nach, während der künftige Präsident in der Nacht salbungsvolle Worte sprach.

Eine Zäsur wie nach 9/11

Amerika fühlt sich nach der Wahl des Rechtspopulisten anders an. Wie nach dem 11.9 lässt sich am 9.11 eine Zäsur erspüren. Beide Katastrophen brachen über ein Land herein, das darauf nicht eingestellt war. Die eine kam von außen, die andere ist hausgemacht.

Über Nacht sind die USA nicht mehr die Hoffnung der Welt, sondern stehen nun an die Spitze eines globalen Trends, der die Demokratie selbst in Frage stellt. Kein Wunder das der russische Präsident Wladimir Putin, die französische Rechtspopulisten Marine LePen und der der philippinische Diktator Rodrigo Duette zu den ersten Gratulanten gehörten.

Es wird sich schon sehr bald zeigen, ob die Institutionen der amerikanischen Selbstregierung stark genug sind, sich dem autoritären Anspruch des Wahlsiegers zu widersetzen. Viel Widerstand dürfte es nicht geben, da im Kongress beide Kammern weiterhin von den Republikaner kontrolliert werden.

Trump kann mit diesen Mehrheiten durch regieren und die unter Präsident Barack Obama erzielten Fortschritte der vergangenen Jahre rückgängig machen. Die Tage der allgemeinen Krankenversicherung dürften damit ebenso gezählt sein wie die strengen Umweltregulierungen oder die Aussicht auf ein unabhängiges Verfassungsgericht.

Ganz nebenbei vollendete Trump am 9.11 die Übernahme der „Grand Old Party“. Die Partei des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln ist nun endgültig der Klatschverein eines Mannes geworden, der schwarz, weiß und braun gegeneinander aufgebracht hat. Für kritische Stimmen moderater Konservativer wird es in der „Grand Old Party“ künftig keinen Platz mehr geben.

Es wird schon schlimm kommen …

Die Regierungen in Europa sollten sich nicht einreden, es werde schon nicht so schlimm kommen. Dies wäre eine gefährliche Verkennung der Tatsachen. An den Börsen lässt sich ablesen, wie gewaltig das Risiko ist, das mit der Verschiebung der tektonischen Platten in der Weltordnung einhergeht.

Trumps Abneigung gegen die NATO reicht Jahrzehnte zurück. Seine Bewunderung für Putin ist so echt, wie die Missgunst gegenüber reichen Alliierten wie Deutschland, Japan oder Südkorea, die er zur Kasse bitten will. Die Mauer zu Mexiko wird gebaut, wie ein Handelskrieg mit China unausweichlich scheint.

Auf Trumps Amerika lässt sich nicht mehr bauen. Stattdessen müssen die Europäer schleunigst in eigne Sicherheitsstrukturen investieren und alles tun, einer Destabilisierung auf dem Kontinent entgegenzuwirken.

Die größte Gefahr ist eine weitere Schwächung der europäischen Identität. Je weiter sich der Krebs des Nationalismus in der Europäische Union verbreitet, desto größer wird die Gefahr für die Sicherheit ihrer Mitglieder. Ein Kontinent, der in nationale Chauvinismen und Stammes-Denken zurückfällt, wird zum Spielball der Launen Putins und Trumps.

Böser Traum wird zur traurigen Realität

Amerika verliert mit dem Gegenbild des ersten nicht-weißen Präsidenten im Weißen Haus seinen Glanz. Es marschiert nicht mehr an der Spitze der Fortschritts, sondern flüchtet sich in ein Gestern, das nicht mehr zurückkommt.

Trumps Verheißungen sind so unecht wie seine Haarfarbe. Der Reality-TV-Star hat bisher nur gezeigt, dass er aus der Armee an Wutbürgern eine Bewegung machen konnte, deren Ressentiments ihn ins Weiße Haus trugen. Dort zu regieren und Ergebnisse zu liefern, die das Leben seiner Wähler tatsächlich verbessert, setzt andere Fähigkeiten voraus.

Am 9.11 lässt sich nur eines mit Gewissheit festhalten: Amerika und die Welt gehen denkbar unsicheren Zeiten entgegen.