Gewaltwelle setzt London unter Schock

Krawalle in England werden immer schlimmer
Der Virus der Gewalt hat London und inzwischen auch mehrere andere Städte Englands voll erfasst. Der Himmel über der britischen Hauptstadt wurde in der Nacht von zahllosen Bränden beleuchtet. Foto: dpa

London – „Es ist wie im Zweiten Weltkrieg, wie in den Berichten aus Syrien“, sagt aufgeregt ein Mann dem Fernsehsender Sky News. „Sie haben uns das Herz herausgerissen“, klagt ein Abgeordneter. Szenen aus dem „Kriegsgebiet“ Tottenham im Londoner Norden gehen um die Welt: weinende Menschen, qualmende Ruinen der Wohnhäuser, geplünderte Geschäfte und verkohlte Autos in den abgesperrten Straßen. So wollte sich die Olympiastadt 2012 gewiss nicht nach außen präsentieren.

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London – „Es ist wie im Zweiten Weltkrieg, wie in den Berichten aus Syrien“, sagt aufgeregt ein Mann dem Fernsehsender Sky News. „Sie haben uns das Herz herausgerissen“, klagt ein Abgeordneter. Szenen aus dem „Kriegsgebiet“ Tottenham im Londoner Norden gehen um die Welt: weinende Menschen, qualmende Ruinen der Wohnhäuser, geplünderte Geschäfte und verkohlte Autos in den abgesperrten Straßen. So wollte sich die Olympiastadt 2012 gewiss nicht nach außen präsentieren.

Der Virus der Gewalt hat London und inzwischen auch mehrere andere Städte Englands voll erfasst. Der Himmel über der britischen Hauptstadt wurde in der Nacht von zahllosen Bränden beleuchtet.

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Auch in Liverpool, Birmingham und Bristol gingen vermummte Randalierer auf die Straßen und setzten Fahrzeuge und Häuser in Brand. Premierminister David Cameron hat für heute den Nationalen Sicherheitsrat zusammengerufen, um die Lage zu besprechen.

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«Was hier passiert, kann einfach nicht entschuldigt werden», sagte Scotland Yard-Chefin Christine Jones zu den Szenen auf den Straßen Londons. «Die Schlacht um London», schrieben britische Zeitungen.

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Als vorbeugende Maßnahme gegen weitere Ausschreitungen wurde der im Osten Londons ansässige Erstligist West Ham United von Scotland Yard gebeten, sein Cup-Spiel gegen Aldershot zu verschieben. Unklar war, ob auch das Freundschaftsspiel der englischen Nationalmannschaft gegen die Niederlande am Mittwoch abgesagt würde.

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In Ealing im Westen gingen maskierte Jugendliche auf Raubzug und setzten dabei Mülltonnen in Brand. Zahlreiche Schaufenster gingen zu Bruch, berichtete die Agentur PA. «Es sieht aus wie in einem Kriegsgebiet», wurde ein Augenzeuge zitiert. In dem Gebiet waren zunächst nur wenige Polizisten im Einsatz.

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Im Stadtteil Croydon brannte ein ganzer Straßenzug, aus einem Möbellager schlugen noch in der Nacht meterhoch die Flammen. Polizei und Feuerwehr schienen völlig überfordert. Am Abend entdeckte die Polizei in einem Auto einen schwer verletzten Mann, der aus mehreren Schusswunden blutete. Näheres wurde nicht bekannt.

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Auch in den Stadtteilen Clapham, Peckham, Hackney, Ealing und Lewisham gab es am Montag Krawalle. In Clapham stand in der Nacht zum Dienstag ein Wohnhaus in Flammen, die Bewohner wurden zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert. In Ealing ging in der Nacht ein Lager des Elektronik-Riesen Sony in Flammen auf, wie der BBC berichtete.

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Augenzeugen berichteten, dass sich zunächst Plünderer «bedient» hätten, ehe sie das Lager anzündeten. Ein nahe gelegenes Hotel musste evakuiert werden, rund 200 Gäste wurden in Sicherheit gebracht,

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Mit Birmingham war am Montag erstmals auch eine Stadt außerhalb Londons betroffen. Dort plünderten Vermummte Juwelierläden und Elektronik-Geschäfte. In der Nacht zum Dienstag setzten sie eine Polizeiwache in Brand. In den frühen Morgenstunden wurden auch aus Bristol Unruhen gemeldet.

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Auch aus Liverpool kamen in der Nacht erste Berichte über chaotische Szenen, von der Polizei als «isolierte Ausbrüche von Unruhen» umschrieben. Augenzeugen berichteten laut PA, dass mehrere hundert Vermummte in den Straßen vorbeifahrende Autos stoppten, die Insassen zum Aussteigen zwangen und anschließend die Fahrzeuge in Brand setzten.

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Das Königreich hat 100 Millionen Pfund in eine globale Werbekampagne investiert, die Touristen zum größten Sportereignis der Welt an die Themse locken soll. Erst vor ein paar Wochen feierte London mit Partys, Feuerwerken und großen Versprechen die Vorfreude ein Jahr vor den Spielen. Viele Politiker befürchten jetzt, dass zwei Nächte voller Gewalt das Image der friedlichen und relativ sicheren, multiethnischen Großstadt schwer beschädigt haben.

Die britische Metropole mit acht Millionen Einwohnern stand am Montag unter Schock nach einer zweiten Gewaltwelle, die diesmal verschiedene Teile der Stadt erschüttert hat. Während am Wochenende nur Tottenham von den Unruhen betroffen war, gab es in der Nacht zu Montag Krawalle und Plünderungen in den nördlichen Bezirken Enfield, Walthamstow, Islington und erstmals auch südlich der Themse in Brixton.

Die besser vorbereitete Metropolitan Police (Met) hatte die Einsatzkräfte durch berittene Einheiten und Polizisten mit Hunden verstärkt. Dennoch schafften es die mobilen „Jugendbanden“ von bis zu 200 Teilnehmern erneut, einen beträchtlichen Schaden anzurichten. Erneut werden Geschäfte ausgeräumt und in Brand gesteckt, Polizeiautos werden zerstört und die Sicherheitskräfte mit Steinen und Flaschen angegriffen.

Flammendes Inferno am Montag

Seit dem Beginn der Ausschreitungen sind 35 Ordnungshüter teilweise schwer verletzt worden. Die Met hat mehr als 215 Menschen verhaftet. Am Montag haben gewalttätige Jugendliche London erneut fest im Griff gehalten und Straßenzüge in ein flammendes Inferno verwandelt. Der amtierende Polizeichef Tim Godwin forderte die Bevölkerung auf, die Straßen zu verlassen. Premierminister David Cameron brach seinen Urlaub in der Toskana ab und berief für Dienstagmorgen eine Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrates ein.

Derweil deutet einiges darauf hin, dass verhängnisvolle Fehler der Polizei am Samstag den Ausbruch der Gewalt begünstigt haben könnten. Erstens soll die Met es versäumt haben, nach einer tödlichen Schießerei am Donnerstag in Tottenham die örtliche Gemeinde zu beruhigen. Zweitens hat sie offenbar die kriminellen „Trittbrettfahrer“ bei einer friedlichen Protestaktion unterschätzt.

Alexei Makartsev