Berlin

Ein Jahr nach Wulff: Die Würde ist zurück in Bellevue

Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt.
Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt. Foto: dpa

Der Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff vor einem Jahr hat das Amt des Staatsoberhauptes verändert. Aus dem traditionellen Sommerfest im Schloss Bellevue ist im vergangenen Jahr ein Bürgerfest mit tausenden Ehrenamtlichen aus der ganzen Republik geworden.

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Aber das ist nur ein äußeres Anzeichen für den Wandel. Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt geben sich bei Auftritten bodenständig und volksnah. Der oberste Repräsentant Deutschlands ist mehr denn je zu seinem ersten Bürger geworden.

Bescheidenheit statt Glamour, Demut statt Überschwang: Wie der neue Bundespräsident das Amt ausfüllt, hat nicht allein damit zu tun, dass Gauck eine andere Persönlichkeit ist als Wulff. Die Erwartungen haben sich ganz offensichtlich verändert.

Glamour war plötzlich gefragt

Am 30. Juni 2010 wird Christian Wulff von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt. Es ist das Jahr, in dem ein Politikertyp wie Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zum Superstar avanciert. Der elegante Freiherr aus Bayern bringt ein wenig Glanz in Deutschlands sonst eher spröden Politikbetrieb. Guttenberg wird zum Liebling der Klatschblätter, begeistert mit seinem kernigen Auftritt aber auch die politischen Beobachter im Regierungsviertel Berlins.

Der frühere Bundespräsident Christian Wulff und seine Ehefrau Bettina haben sich inzwischen offiziell getrennt.
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff und seine Ehefrau Bettina haben sich inzwischen offiziell getrennt.
Foto: dpa
In dieser Stimmung betritt Christian Wulff die Berliner Bühne. Während der niedersächsische Ministerpräsident hier anfangs als eher langweiliger Landespolitiker gesehen wird, ändert sich das nach seinem Amtsantritt im Schloss Bellevue rasch. Bettina und Christian Wulff, das ist plötzlich das Traumpaar in aller Munde. „So einen Bundespräsidenten hatten wir noch nie!“, jubelt der Berliner „Tagesspiegel“ beim ersten und einzigen Bundespresseball, den die beiden in Berlin eröffnen. Der große Auftritt wird ihr Markenzeichen. Von Wulffs Worten bleibt einzig der Satz im Gedächtnis, dass der Islam zu Deutschland gehört. Viele Muslime schätzen ihn noch immer sehr dafür.

So sehr sich Bettina und Christian Wulff öffentlich bei glamourösen Auftritten inszenieren, so sehr beginnen allerdings Journalisten sich auch für die finanziellen Hintergründe des Präsidentenpaares zu interessieren. Dafür, dass die Wulffs längst jede Bodenhaftung verloren hatten, spricht, dass sie die erhobenen Vorwürfe lange unkommentiert lassen. Sie nehmen sie ganz offensichtlich nicht ernst. Am 13. Dezember 2011 berichtet die „Bild“-Zeitung, dass Wulff in seiner Zeit als Ministerpräsident eine halbe Million Euro von dem Unternehmer Egon Geerkens für die Finanzierung seines Einfamilienhauses in Großburgwedel erhielt. Das Prekäre: Im niedersächsischen Landtag hatte Wulff auf Anfrage erklärt, zu Geerkens keinerlei geschäftliche Beziehungen zu pflegen. Den Kredit hatte er verschwiegen. Wenige Tage nach der „Bild“-Veröffentlichung wird bekannt, dass Wulff Chefredakteur Kai Diekmann am Telefon mit Konsequenzen gedroht hatte, sollte die Geschichte über den Hauskredit veröffentlicht werden.

Der Bundespräsident scheint aber auch nach der Veröffentlichung noch davon auszugehen, dass sich die sprunghaften Medien über die Weihnachtstage wieder anderen Themen zuwenden. Das Gegenteil passiert. Neue Vorwürfe tauchen auf. Vom Freund und Filmemacher David Groenewold, der von niedersächsischen Filmfördergeldern profitierte, sollen sich die Wulffs auf Sylt eine Hotelrechnung haben bezahlen lassen. Es kommt Weiteres ans Licht, was den Eindruck der Vorteilsnahme im Amt verstärkt. An den Wulffs klebt plötzlich das hässliche Image der Profiteure, die auch gern mal Urlaub bei reichen Freunden machen. Die Integrität des Bundespräsidenten ist längst schwer beschädigt, als die Staatsanwaltschaft am Abend des 16. Februar die Aufhebung seiner Immunität beantragt, um Ermittlungen einzuleiten. Am nächsten Morgen folgt ein gespenstischer Auftritt. Fünf Minuten dauert die Erklärung seines Rücktritts, seine Frau Bettina steht schon jetzt einige Meter entfernt von ihm. Der Glamour, der die beiden umgab, ist Verbitterung gewichen. Wulff sagt, dass er davon ausgeht, dass die rechtliche Klärung der Vorwürfe zu „einer vollständigen Entlastung“ führen wird.

Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt danach im vergangenen Sommer wirkt Wulff gebrochen. Sein Ehrensold von 217 000 Euro jährlich dürfte kaum ausreichen, um seine Anwaltskosten, den Unterhalt für seine Ex-Frauen und seine Kinder zu bezahlen. Bettina und Christian Wulff haben sich Anfang dieses Jahres getrennt. Daneben gilt es auch noch, den fraglichen Hauskredit zurückzuzahlen. Solange ermittelt wird, ist ein beruflicher Neustart für den Juristen Wulff unmöglich.

Weniger Beinfreiheit

Joachim Gauck kündigt unterdessen schon kurz nach seiner Wahl im März 2012 an, dass es im Sommer ein großes Fest für alle Bürger auf Schloss Bellevue geben soll statt des üblichen Empfangs nur für geladene Gäste. Gauck setzt sich bei dem Fest zum Gespräch mit ganz normalen Leuten an Biertische. Ihm wird gelegentlich eine gewisse intellektuelle Überheblichkeit nachgesagt. Die exklusive Gesellschaft der Reichen und Schönen allerdings ist nicht seine Welt. Die Anerkennung, die ihm in Deutschland und im Ausland entgegengebracht wird, zeigt, dass das Amt des Bundespräsidenten die Affäre Wulff mit einem blauen Auge überstanden hat. Wer es heute ausfüllen will, hat jedoch weniger Beinfreiheit. Der Bundespräsident muss dem Volk nah sein. Sonst wird es misstrauisch.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann