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Die Aktivisten von „Anonymous“ wollen amerikanische Protestwelle nach Deutschland tragen

Anonymous-Aktivist j4rkill mit seiner Guy-Fawkes-Maske.
Anonymous-Aktivist j4rkill mit seiner Guy-Fawkes-Maske. Foto: Privat

Sie werden Unruhestifter, Linksextreme, Internetfreaks, Hacker oder Verückte genannt. Oder auch Basisdemokraten, Netzaktivisten oder Teil einer globalen Protestbewegung. Wie tickt „Anonymous“ (deutsch: Anonym), jene Gruppe, die bisher vor allem mit (illegalen) Hackerangriffen Schlagzeilen machte und jetzt als Mitorganisator der Proteste auf der New Yorker Wall Street gilt, wirklich?

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Internet – Sie werden Unruhestifter, Linksextreme, Internetfreaks, Hacker oder Verückte genannt. Oder auch Basisdemokraten, Netzaktivisten oder Teil einer globalen Protestbewegung. Wie tickt „Anonymous“ (deutsch: Anonym), jene Gruppe, die bisher vor allem mit (illegalen) Hackerangriffen Schlagzeilen machte und jetzt als Mitorganisator der Proteste auf der New Yorker Wall Street gilt, wirklich?

Zum Livestream von Occupy Frankfurt am 15.10.2011...

Ein „Kollektiv“ ohne Struktur

Anonymous-Aktivist j4rkill mit seiner Guy-Fawkes-Maske.
Anonymous-Aktivist j4rkill mit seiner Guy-Fawkes-Maske.
Foto: Privat
Anonymous ist ein Deckname, unter dem verschiedene Gruppen oder Einzelpersonen auf der ganzen Welt Aktionen planen. Jeder darf mitmachen. Eine zentrale Führung oder Organisation gibt es dabei nicht. Die Anons, wie sich die Mitglieder weltweit bezeichnen, nennen ihre Gruppe gerne „das Kollektiv“.

Als „Occupy Wall Street“ (Besetzt die Wall Street) durch einen Aufruf auf der Website des kanadischen Magazins „Adbusters“ (in Anlehnung an die friedliche Revolution auf dem ägyptischen Tahir-Platz: „seid ihr bereit für den Tahir-Moment“), dem über 5000 Menschen am 17. September folgten, initiiert wurde, fanden die sich Anhänger von „Anonymous“ in den Ideen wieder und fingen an, vorab den Aufruf und Informationen, und später Statusmeldungen der Demonstranten über ihre Online-Kanäle zu verbreiten und die Aktion so maßgeblich mit zu organisieren. Heute sieht man in den zahlreichen Städten in den USA, durch die die Protestwelle mittlerweile rollt, immer mehr Guy Fawkes-Masken, das Markenzeichen von Anonymous.

„So fängt bei Anonymous eigentlich immer alles an“, sagt J4rkill, ein junger Anon, der zusammen mit vier anderen Mitstreitern die deutsche Newsplattform Anonymous News betreibt. Über Twitter, Facebook oder in Internet Relay Chats (IRCs), einfachen textbasierten Chatsystemen, stellen einzelne Aktivisten Projekte vor und suchen Mitstreiter. Sind diese gefunden, wird die „Operation“ (OP) ins Leben gerufen und durchgeführt. Weil die Anons sich auch untereinander meist nicht kennen und sich jeder jederzeit anschließen kann, kann auch J4rkill die Zahl der Aktivisten nur schätzen: etwa 25 000 – 30 000, glaubt er, gebe es in Deutschland. Dementsprechend vielfältig sind auch die Ziele des Netzwerks, da quasi jeder Anon seine eigene Agenda verfolgen kann.

Illegale Hackerangriffe sind in den Medien am sichtbarsten

J4rkill ist vor allem wichtig, zu betonen, dass Anonymous keine reine Hackergruppe ist, obwohl sich unter den Anons einige Hacker befinden. Ohne die wäre auch der letzte „Erfolg“ von Anonymous nicht denkbar: Aus Protest gegen die Sperrung von Videos auf Youtube legten sie die Seite der GEMA (zum Artikel) lahm. „Im Moment laufen unsere Aktionen zu circa 70% im Netz ab. Viele von uns versuchen, dieses Verhältnis auszugleichen“, meint J4rkill.

Manchmal wird auch eine OP von einigen Aktivisten ins Leben gerufen, von der sich andere wiederum distanzieren – so geschehen bei der „OPFacebook“ (zum Artikel), die für den 5. November angekündigt ist. Einige Anons behaupteten, dass Facebook Daten seiner Benutzer auch nach der Löschung der Profile weiterverkaufe. Kurz darauf distanzierten sich wiederum andere davon. So auch J4rkill: „Schließlich nutzen wir Facebook selbst. Wir haben daraufhin eine Aufklärungskampagne gestartet, die die Machenschaften von Facebook öffentlich machen soll, und von Angriffen auf das Netzwerk abgeraten“ erklärt er im Gespräch mit unserer Zeitung.

Organisation im und mithilfe des Internet

Anonymous verfolgt derzeit unter anderem das Ziel, die sich in den USA ausbreitende Protestwelle nach Deutschland zu tragen. So werden in Deutschland gerade in neun deutschen Großstädten (Berlin, Frankfurt, Düsseldorf, München, Hamburg, Köln, Leipzig, Magdeburg, Bremen) ähnliche Aktionen geplant.

Die Planungen der einzelnen Organisationsteams sind öffentlich im Internet zugänglich – jeder, der den Link kennt oder auf die entsprechenden Seiten stößt, kann sich beteiligen: Informationen laufen auf speziellen Seiten im Netz zusammen, auf denen gemeinsam gearbeitet werden kann. Dort kann jeder Ideen niederschreiben, Vorschläge von anderen bewerten und weiterentwickeln oder an Formulierungen für Pressemitteilungen feilen. Absprachen zu Zeit, Ort und Art der Aktionen treffen die Aktivisten hier. Außerdem nutzen sie seit September verstärkt die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter, um Mitstreiter zu werben.

So sind auch die Organisationsteams in den neun Großstädten über das Internet vernetzt. Wird eine gute Idee an einem Standort entwickelt, sehen dies die anderen, und übernehmen sie in die eigene Planung. „Es sieht zum Beispiel im Moment so aus, als ob sich die Idee, mit Kreideschriftzügen auf die Aktionen am 15.10. aufmerksam zu machen, in allen Städten übernommen wird“, meint Colin Bredow, der die Homepage von Occupy Frankfurt und die dazugehörige Facebook-Seite betreut.

Die Wiederauflage der Frankfurter Aktion initiierten laut Below die deutschen Aktivisten von Anonymous. Geplant wird in einem öffentlichen Dokument im Netz, das die Piratenpartei zur Verfügung gestellt hat. „Einige von uns sind Anhänger der Partei, viele sind auch bei Anonymous aktiv“ erläutert Bredow. Die Facebook-Seite wurde Anfang Oktober gegründet und hat derzeit 1591 Fans (Stand: 7. Oktober, 11.00 Uhr).

Ein Blick in die Statistiken der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt, der unserer Zeitung exklusiv ermöglicht wurden, zeigt: Seit der Gründung der Seite am 26. September haben 1591 Facebook-Nutzer durch einen Klick auf „gefällt mir“ ihre Sympathie mit dem Vorhaben bekundet (Stand Freitag, 7. Oktober). Und die Fanzahlen wachsen rasant. Allein am 4. Oktober gewann die Seite 275 neue „Fans“ hinzu. Die Statistik zeigt allerdings auch, dass lediglich 529 der Fans aus Deutschland kommen. Auch die Verteilung auf die Städte relativiert die Gesamtzahl der Unterstützer: Nur 83 geben als ihren Wohnort Frankfurt an. Es folgen Berlin (43) Hamburg (27) und München (24) – alles Großstädte, in denen auch Occupy-Veranstaltungen geplant sind. Das spricht für eine weit kleinere Anzahl an wirklichen Aktivisten: Wer Fan von Occupy-Frankfurt ist, hat vielleicht auch bei Occupy-München „gefällt mir“ geklickt. Dem direkten Vergleich zu amerikanischen Occupy-Seiten auf Facebook, von denen die meisten über 5000 Fans zählen, hält Occupy-Frankfurt noch nicht stand.

Auch Aktivisten erwarten weniger Proteste in Deutschland

Dass es in Deutschland zu derart heftigen Protesten wie in den USA kommt, bezweifelt nicht nur Colin Bredow. Attac-Mitglied und Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler äußerte diese Vermutung am Donnerstag (6. Oktober) gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger – und bejahte gleichzeitig die Frage, ob er sich an den Protesten beteiligen würde. Für beide liegt die Ursache der deutschen Zurückhaltung beim vergleichsweise gut funktionierenden Sozialstaat in Deutschland.

Protest
Menschen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen demonstrieren in New York gegen die Macht der Banken.
Foto: DPA
Zeitgleich mit „Occupy Wall Street“ am 17. September startete „Occupy-Frankfurt“ schon einmal – nach dem Vorbild von „Occupy Wall Street“ und durch Anons in Deutschland organisiert. Etwa 30 bis 40 Leute erschienen am verabredeten Ort in Frankfurt, allerdings übernachteten die wenigsten. Weil die Camper vergaßen, die Fortführung der Demonstration bei der Polizei anzumelden, wurden sie schließlich freundlich von der Polizei zum Verlassen ihres Zeltlagers aufgefordert – was sie auch taten. „Schade, dass es in Deutschland noch nicht geklappt hat mit größeren Occupy-Aktionen. Aber wir versuchen es ja weiter.“

Update 1: Stand der Facebook-Fans der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt am 8. Oktober um 2.28 Uhr: 1676 Fans.

Update 2: Stand der Facebook-Fans der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt am 8. Oktober um 11.12 Uhr: 1746 Fans.

Update 3: Stand der Facebook-Fans der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt am 9. Oktober um 15.21 Uhr: 2300 Fans.

Update 4: Stand der Facebook-Fans der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt am 9. Oktober um 18.00 Uhr: 1121 Fans aus Deutschland. Die Top-4 Wohnorte: Frankfurt (214), Berlin (80), München (61), Hamburg (42). Gesamt: 2357 Fans.

Update 5: Stand der Facebook-Fans der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt am 10. Oktober um 9.30 Uhr: 2586 Fans.

Update 6: Stand der Facebook-Fans der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt am 11. Oktober um 19.20 Uhr: 3166 Fans.

Update 7: Stand der Facebook-Fans der Facebook-Seite von Occupy-Frankfurt am 19. Oktober um 8.00 Uhr: 10093 Fans.

Von unserer Reporterin Sandra Elgaß (Twitter: @RZ_Elgass)

Weblinks:

  • Anonymous-Aufrufe im Netz

Anonymous-Aufruf zum 15. Oktober 2011 für Deutschland auf Youtube

Anonymous-Aufruf zum 15. Oktober 2011 für Frankfurt auf Youtube

  • Links zur Aktion Occupy Frankfurt

Wiki (Online-Organisationsplattform) der Organisatoren von Occupy Frankfurt

Öffentliches Organisationsdokument für Occupy Frankfurt

Anonymous-Website zu Occupy Frankfurt