RZ-KOMMENTAR: Das Jugendamt hat gravierende Fehler gemacht

Wer den Prozess zum Missbrauchsdrama in Fluterschen verfolgt, dem drängt sich der Eindruck auf: Die Jugendamtsmitarbeiter des Kreises Altenkirchen haben sich zwar jahrelang um die Familie des Detlef S. gekümmert. Aber: Sie haben Fehler gemacht.

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Wer den Prozess zum Missbrauchsdrama in Fluterschen verfolgt, dem drängt sich der Eindruck auf: Die Jugendamtsmitarbeiter des Kreises Altenkirchen haben sich zwar jahrelang um die Familie des Detlef S. gekümmert. Aber: Sie haben Fehler gemacht. Gravierende Fehler, die selbst Laien auffallen. Die Akten zu dem Fall sind in einem erbärmlichen Zustand. Doch leider geht es nicht nur um durcheinandergeratene Seitenzahlen oder unvollständige Gesprächsnotizen. Das Jugendamt muss sich sehr viel schwerwiegendere Vorwürfe gefallen lassen.

Vorwurf eins: Entweder die Jugendamtsakten sind nicht vollständig oder die Jugendamtsmitarbeiter haben ihre Aufgaben und Pflichten völlig missachtet. Ein Beispiel: Am 10. Mai 1999 meldet sich beim Jugendamt ein Nachbar der Familie S. Er sagt: Detlef S. verprügle seine Kinder, man höre sie oft schreien. Viele Menschen in Fluterschen hätten Angst vor Detlef S. Und was macht das Jugendamt? Nichts. Zumindest steht dazu nichts in den Akten. Somit ist unklar, ob das Jugendamt etwas unternahm, nachdem der Nachbar sich gemeldet hat.

Vorwurf zwei: Die Jugendamtsmitarbeiter nahmen mutmaßliche Gewaltopfer offenbar nicht ernst. Ein Beispiel: Bereits 1998 haben Björn und Natascha ihren Adoptivvater Detlef S. im Gespräch mit einem Bekannten schwer belastet. Sie sagten, er würde sie grundlos schlagen. Mal mit der Faust, mal mit einem Stock. Björn soll er beim Frühstück ins Genick geschlagen und gesagt haben: „Du brauchst das! Ab jetzt bekommst du das jeden Tag!“ Natürlich war es für das Jugendamt sehr schwierig. Denn Björn und Natascha nahmen bei der Polizei alles zurück – und behaupteten das Gegenteil. Aber in den Wochen danach sagten sie mehrfach: Wir werden geschlagen, wir wollen von zu Hause weg. Björn sagte es der Polizei und seiner Lehrerin. Natascha sagte es einem Arzt. Und all das war dem Jugendamt bekannt. Warum haben die Mitarbeiter nicht reagiert?

Vorwurf drei: Das Jugendamt zog offenbar nie in Erwägung, dass Detlef S. ein Sexualverbrecher der übelsten Sorte sein könnte. Ein Beispiel: Seit 2002 stand er unter dem Verdacht, mit seiner Adoptivtochter Natascha mehrere Kinder gezeugt zu haben. Trotzdem: Das Jugendamt ließ es zu, dass er bei den meisten Gesprächen im Jugendamt mit am Tisch saß. Warum bestand man selbst nach der Volljährigkeit Nataschas nicht darauf, mit ihr allein zu sprechen? Vielleicht hätte das Missbrauchsdrama dann viel früher beendet werden können.

E-Mail: hartmut.wagner@rhein-zeitung.net