Brüssel

Kritik an EU: Auf Tausende wartet im Mittelmeer der Tod

Für Mohamed (33) und seine Frau Rada (25) beginnt die Katastrophe im Dezember 2013. Als in Syrien der Krieg ausbricht, fliehen sie mit ihren beiden Kindern Shahad (7) und Mohamed (4) aus Damaskus nach Libyen.

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Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes

„Ich bezahlte 2000 Dollar (rund 1580 Euro) an die Schmuggler“, wird der Vater später den Mitarbeitern des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR erzählen. Er beschreibt Tage und Nächte, in denen er und seine Familie, seine Frau Rada ist da im fünften Monat schwanger, an Stränden im Sand schlafen müssen, ehe sie nachts auf kleine Motorboote verladen werden, die sie zu einem größeren Trawler bringen, der im Dunkeln liegt.

„Diese Methode nutzen die Schlepper oft“, heißt es in dem Bericht „Vertriebene Leben“ der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International (AI). Mohamed schildert die Misshandlungen vor allem afrikanischer Flüchtlinge, die Erpressung um weitere 1500 Dollar (circa 1200 Euro) und schließlich die Katastrophe auf See, bei der das Schiff untergeht, „viele Körper im Wasser treiben“, ehe die Familie von der italienischen Marine gerettet wird.

Ein Jahr nach dem grausamen Tod von 518 Menschen vor der Mittelmeer-Insel Lampedusa am 3. Oktober erinnert der Bericht an die humanitäre Tragödie, die sich jeden Tag vor den Grenzen der EU vollzieht. Es sei ein „Überlebenstest“, dem die Flüchtlinge von der EU ausgesetzt würden, heißt es in dem Papier. „Wenn die EU weiterhin zu ihren ureigenen Werten, nämlich den Menschenrechten, stehen will, darf sie das Sterben im Mittelmeer nicht länger hinnehmen“, erklärte die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty, Selmin Caliskan.

Erst die nackten Zahlen offenbaren das ganze Ausmaß dessen, was dort Tag für Tag passiert. Zwischen Januar und September 2014 starben 2500 Flüchtlinge im Wasser. „Die wahre Zahl aber wird man nie wissen, weil viele Körper in der See verloren gingen.“ 100 000 Menschen retteten die italienische Marine und Küstenwache zwischen dem 18. Oktober 2013 und September 2014. Doch genau diese Hilfsaktion Roms, die unter dem Namen „Mare Nostrum“ (unser Meer) lief, soll nun aufgrund der immensen Kosten von neun Millionen Euro pro Monat eingestellt werden. Hilfe von der EU gibt es bisher nicht. Lediglich eine „minimale Ausweitung der Frontex-Kapazitäten“, heißt es weiter. Den Einsatz der europäischen Grenzschutzagentur hatte Brüssel vor einigen Monaten aufgestockt, aber viel zu wenig, um effizient zu helfen.

Amnesty fordert von den Mitgliedstaaten darüber hinaus, die Fluchtkorridore sicherer zu machen. In den vergangenen Jahren hat man AI zufolge viel Aufmerksamkeit darauf verwendet, bekannte Routen von Menschenschmugglern zu „stopfen“. Damit seien die Flüchtlinge aber auf das Wasser getrieben worden. Eine andere Möglichkeit haben sie laut AI nicht. „Ich habe in Kairo die Botschaften Deutschlands, Belgiens und Schwedens aufgesucht, um legal als Asylbewerber anerkannt zu werden“, erzählt der 47-jährige Syrer Mohamed. „Ich versuchte alles, um legal nach Europa zu kommen, aber es gab keinen Weg.“ Auch er vertraute sich schließlich Schmugglern an. Ob von dem nächsten Treffen der EU-Innenminister im Oktober Hilfe zu erwarten ist, erscheint zweifelhaft. Die Tragödie wird wohl weitergehen.