Gießen

Keine Hoffnung aus Gießen für Muhammet: Transplantation ausgeschlossen

Der kleine Muhammet aus der Türkei sollte in Gießen ein neues Herz bekommen. Inzwischen steht fest: Den lebensrettenden Eingriff wird es dort nicht geben. Grund ist ein Hirnschaden des Jungen. Eltern und Klinik haben sich in einen erbitterten Streit verheddert, an dem Tausende teilnehmen.

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Von Isabell Scheuplein, dpa

Eines ist sicher: In Gießen wird der kleine Muhammet kein Spenderherz mehr bekommen. Auch wenn das die Spezialisten am dortigen Kinderherzzentrum seinen Eltern versprochen hatten. Grund ist ein Hirnschaden, den der 21 Monate alte türkische Junge kurz vor dem Transport nach Hessen erlitten hat. Ist ein anderes Organ geschädigt, untersage die geltende Gesetzeslage eine Transplantation – so sieht es das Klinikum. Für die Eltern ist die Entscheidung ein Schock.

400 000 Euro haben sie an das Klinikum gezahlt, um das Leben ihres Sohnes zu retten. Als sie nach ihrer Ankunft im März in Gießen erfahren, dass er nun doch nicht auf die Warteliste für ein neues Herz gesetzt wird, wollen sie es nicht glauben. Denn sie beobachten Fortschritte bei ihrem kleinen Sohn. Liegt tatsächlich ein dauerhafter Hirnschaden vor, wie von den Ärzten diagnostiziert? „Mein Sohn hat genauso ein Recht zu leben wie andere Kinder“, sagt der Vater der „Süddeutschen Zeitung“.

Das Paar verlangt die lebensrettende Operation und beginnt, um Unterstützer zu werben. Einer Facebook-Gruppe schließen sich Zehntausende an. Einige davon richten schwere Vorwürfe gegen die Klinik: Das Spenderorgan werde dem Jungen nur deshalb vorenthalten, weil er aus der Türkei komme. Dazu werden Drohungen ausgesprochen. Die von dem Jungen geposteten Fotos und Videos machen es vielen Menschen schwer, bei dem Thema sachlich zu bleiben.

Das Klinikum spricht von schier zahllosen Anrufen und Anfragen, die den Alltag auf der Station fast unmöglich machten. Die Mitarbeiter würden von Fürsprechern der Eltern auch körperlich bedrängt und bedroht. Das sei soweit gegangen, dass nun sogar ein Sicherheitsdienst das Kinderherzzentrum schützen müsse, sagt ein Sprecher. Auch das Vertrauensverhältnis zu den Eltern sei beschädigt.

Am Donnerstag teilt die Klinik schließlich mit, dass sie den Jungen verlegen will. „Für uns heißt das nun, das Kind in ein anderes Transplantationszentrum oder nach Istanbul zurück zu verlegen“, wird der Ärztliche Geschäftsführer des Uniklinikums, Professor Werner Seeger, in einer Mitteilung zitiert. Die großen Zentren in Deutschland sowie in Wien und Rotterdam hätten bereits abgelehnt. Unterdessen hat der Fall auch eine neue Debatte ausgelöst: Dieser Vorgang sei „ein schwerer Rückschlag für das Vertrauen und die Akzeptanz von Organtransplantationen“, sagte Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen der „SZ“.

In dem Fall geht es auch um viel Geld: 400 000 Euro haben die Eltern dem Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) für die ursprünglich vereinbarte Operation gezahlt. Inzwischen belaufen sich die Behandlungskosten laut dem Anwalt der Eltern, Kai Wiegand, auf mehr als 550 000 Euro – sie steigen mit jedem Tag weiter.

Wiegand sagt, ihm sei nicht bekannt, dass es im Klinikum solch heftige Bedrohungen gebe, die eine Verlegung des inzwischen 21 Monate alten Jungen rechtfertigten. Die Eltern selbst hätten sich wiederholt von den Schmäh-Kommentaren im Internet distanziert. Er bemühe sich auch um einen besseren Draht zur Klinikleitung, damit das Vertrauensverhältnis neu aufgebaut werden könne.

Die Eltern versuchten weltweit, ein Transplantationszentrum zu finden und hofften auf eine positive Antwort aus der Schweiz, wo ein Klinikum prüfe, ob es helfen könne. Bis dahin könne für den Jungen in Gießen am besten gesorgt werden. Einer Verlegung zurück nach Istanbul würden sie nicht zustimmen. „Dort würde das Kind nur sterben.“