Berlin

Der Fall Sebastian Edathy: Hat Oppermann doch gelogen?

Vor dem Edathy-Untersuchungsausschuss wird der sonst so wortgewaltige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sehr leise. Er gibt zu, mehrere SPD-Politiker über die Vorwürfe gegen Edathy frühzeitig informiert zu haben.
Vor dem Edathy-Untersuchungsausschuss wird der sonst so wortgewaltige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sehr leise. Er gibt zu, mehrere SPD-Politiker über die Vorwürfe gegen Edathy frühzeitig informiert zu haben. Foto: dpa

Der Fall des Sebastian Edathy könnte als ungelöster Polit-Krimi in die Geschichte eingehen. Im Untersuchungsausschuss des Bundestages müssen sich SPD-Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie Außenminister Frank-Walter Steinmeier einer stundenlangen Befragung bis in die Nacht stellen.

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Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

Gabriel lässt seinen Fraktionschef Thomas Oppermann dabei nicht gut aussehen. Er präsentiert neue Ungereimtheiten, die Oppermann in Erklärungsnot bringen. Die SPD-Spitzen machen in der Affäre keine gute Figur.

Parteichef Gabriel nennt den inzwischen entstandenen Schaden durch „Verdächtigungen und Verschwörungstheorien“ groß. Er hätte selbst das größte Interesse, die Vorgänge restlos aufzuklären. Die Affäre beschäftigt seine Partei seit Februar 2014.

Gabriel spricht dann so leise, dass er die Stenografen zeitweise zur Verzweiflung bringt. Sein Auftritt mutet betont gelassen an. Er spricht frei. Vor ihm liegen mehrere leere weiße Blätter.

Er bringt dann wie aus Versehen Oppermann in Bedrängnis, als er erklärt, den damaligen Fraktionsgeschäftsführer erst nach den Sondierungsgesprächen mit der CDU am 17. Oktober 2013, also nach 15.30 Uhr, über den Verdacht gegen Edathy informiert zu haben. Möglicherweise im Auto auf der Fahrt, vielleicht sogar auch erst am nächsten Tag. Oppermann hat aber, und das ist lange bekannt, bereits um 15.29 Uhr um die gleiche Zeit mit dem damaligen BKA-Chef Frank Ziercke in der Sache telefoniert.

Woher hatte also Oppermann sein Wissen? Noch einmal sind die Besucherränge des Untersuchungsausschusses gefüllt, ein letztes Mal dürfte das Interesse für die Zusammenhänge zwischen Oktober 2013 und Februar 2014 so groß sein. Sebastian Edathy, der im Februar 2014 wegen Ermittlungen im Zusammenhang mit Kinderpornografie als Bundestagsabgeordneter zurückgetreten war, hatte ausgesagt, dass die führenden SPD-Politiker früh über die Ermittlungen gegen ihn informiert gewesen sind. Der frühere innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, soll ihn laufend über den Stand der Ermittlungen informiert haben. Hartmann bestreitet dies, verweigert weitere Aussagen und ist seit Monaten krankgeschrieben.

Auch steht der Verdacht im Raum, dass Hartmann von Oppermann instruiert worden sein könnte, wegen der Vorwürfe auf Edathys Rückzug aus dem Bundestag hinzuwirken. Außerdem könnte Edathy auch aus der SPD-Spitze frühzeitig vor Ermittlungen gewarnt worden sein und so Gelegenheit gehabt haben, Beweise verschwinden zu lassen. Aussagen von Ermittlungsbeamten legen dies nahe.

Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist an diesem Donnerstagmorgen der erste Zeuge. Er musste wegen Geheimnisverrat in der Folge der Affäre im Februar 2014 zurücktreten, nachdem Thomas Oppermann in einer Pressemitteilung öffentlich gemacht hatte, dass Friedrich Parteichef Gabriel am 17. Oktober 2013 über die Vorwürfe gegen Edathy informiert hatte. Friedrich musste daraufhin zurücktreten. Für die SPD gab es keine personellen Konsequenzen, obwohl auch hier Indiskretionen begangen wurden. Friedrich gibt sich heute dennoch betont gut gelaunt. Er sei davon ausgegangen, dass Gabriel die Information zu Edathy für sich behält. Der aber informierte Oppermann und Steinmeier. „Shit happens, wie wir Bayern sagen“, kommentiert das Friedrich heute zynisch.

Wenig später bezeichnet Gabriel als nächster Zeuge Friedrichs Vorgehen als „hochanständig“. Was die Informationskette in der SPD angeht, werden seine Erinnerungen mit zunehmender Dauer der Befragung aber schwammig. Als Linken-Obmann Frank Tempel wissen will, ob der Zeitpunkt des Anrufs bei Oppermann nicht genauer zu rekonstruieren ist, antwortet Gabriel patzig, dies gehe nicht, „es sei denn, wir hätten früher schon eine umfangreiche Vorratsdatenspeicherung gehabt“.

Noch mehr passt nicht zusammen. Nach Edathys Rücktritt will Gabriel „aus Sorge“, dieser könnte sich etwas antun, eine aufmunternde SMS geschickt haben. „Es kommen auch wieder bessere Zeiten“, schrieb er an Edathy. Wenige Tage später tritt er im Willy-Brandt-Haus vor die Presse, um zu erklären, dass für Leute wie Edathy „in der SPD kein Platz ist“.

Schon am frühen Abend ist klar, dass die Edathy-Affäre an der SPD nicht spurlos vorübergeht. Parteichef Gabriel macht nicht den Eindruck, als würde er in seiner Aussage Rücksicht nehmen auf andere Genossen. Es wirkt, als hätte es keine Absprachen gegeben, sondern als denke an diesem Tag jeder Genosse nur an sich. Und noch etwas wird offenbar: In der Angelegenheit hatten sich die Spitzen der SPD damals nicht abgestimmt, wichtige Details wie eine Presseerklärung, die immerhin zu einem Ministerrücktritt führte, offenbar nicht abgesprochen. Auch das ist schon ein erstaunlicher Vorgang.