München

CSU-Parteitag: Demütigung Merkels schwächt Seehofer

Angesäuert: Wie ein Schulmädchen kanzelt CSU-Chef Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsdebatte beim Parteitag ab. Die Regierungschefin reagierte sichtlich verärgert und verließ das Zusammentreffen der Christsozialen fast fluchtartig. Foto: dpa
Angesäuert: Wie ein Schulmädchen kanzelt CSU-Chef Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsdebatte beim Parteitag ab. Die Regierungschefin reagierte sichtlich verärgert und verließ das Zusammentreffen der Christsozialen fast fluchtartig. Foto: dpa

Die Sonne scheint vom weiß-blauen Himmel, als die 850 Delegierten Bayernhymne, Deutschlandlied und Europahymne gesungen haben. Los geht es mit den nächsten zwei Jahren CSU-Leben unter Parteichef Horst Seehofer. Doch bevor sie in den Alltag eintauchen, passieren sie am Messeausgang ein kurzfristig aufgeklebtes Schild: „Sturmwarnung!“

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Unser Korrespondent Gregor Mayntz analysiert den CSU-Parteitag und die Attacken Seehofers gegen Angela Merkel und Markus Söder.

Ja, es dürfte stürmisch werden in und um Deutschlands Dauerregierungspartei und in deren Dachgebälk schon bald knistern, knacken, wackeln. Die Führungsfrage stellt sich lauter, als es sich Mitglieder, Beobachter und Gegner vor dem Parteitag hätten vorstellen können. Waren die Rangeleien um die besten Startplätze für die Seehofer-Nachfolge nicht abgeblasen worden angesichts eines Seehofer, der sich in der Flüchtlingsfrage derart scharf, entschieden und fordernd gegen die Bundeskanzlerin positionierte, dass er im Vorfeld des Delegiertentreffens sogar noch stärker zu sein schien als vor zwei Jahren, als ihm die Basis mit 95,3 Prozent ein Traumergebnis beschert hatte?

Doch dann überzog Seehofer gleich an zwei Fronten. Es reichte ihm nicht, seinen Finanzminister Markus Söder zurückzupfeifen, als dieser mit dem Tweet „Paris ändert alles“ die Terrorangriffe in ein Argument für die Verschärfung der Flüchtlingspolitik zu wenden versuchte. Er organisierte zusätzlich einen Vorstandsbeschluss und legte, obwohl Söder längst zurückruderte, zusätzlich noch in Interviews nach. „Grenzüberschreitung“ warf er dem Parteifreund darin vor, und dass es in der Nachfolgefrage „entschieden anders laufen werde“, als man es sich vorstelle.

Kalter Abgang

Der Umgang mit Söder war sozusagen das Vorspiel für den Freitagabend. Denn nach ähnlich übertriebenem Muster kanzelte er auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) derart grob ab, dass vielen im Saal für Augenblicke die Luft wegblieb. Wie ein Schulmädchen maßregelte er die mächtigste Frau neben sich auf der Bühne, sprach im drohenden Ton von Obergrenzen für Flüchtlinge („Wir sehen uns wieder“) und bereitete ihr einen kurzen, knappen, kalten Abgang ohne Schlussapplaus und ohne Einladung, doch noch zum Delegiertenabend zu bleiben. „Schönen Heimweg“, sagte er – und begleitete sie nicht einmal zum Auto. Die doppelte Demütigung mag die Delegierten so entsetzt haben, dass sie zu Dutzenden erst gar nicht an der Abstimmung teilnahmen und dann Seehofer auch noch das schlechteste Wiederwahlergebnis von allen bereiteten: der Absturz von 95,3 auf 87,2 Prozent. Den Denkzettel mag Seehofer in wenigen Tagen weggesteckt haben. Aber die Reaktion des Parteitages auf den Versuch Seehofers, Söder zu relativieren und auszubremsen, wird aller Voraussicht nach eine immense Wirkung entfalten und kann am Ende sogar dazu beitragen, dass Seehofer die Bemühungen einstellen muss, Söder als Nachfolger noch zu verhindern.

Dass Seehofer Söder für charakterlich ungeeignet hält und ihm „Schmutzeleien“ unterstellt, hat er selbst schon vor fast drei Jahren zu Protokoll gegeben. Auch in der Partei teilen viele die Skepsis, dass Söders inhaltliches Programm aus drei Buchstaben bestehen könnte: ich. Mit dem Dauerfeuer wollte Seehofer sich das Problem offenbar nachhaltig vom Hals schaffen. Doch beim Parteitag erntete ein Delegierter die erste Begeisterung, als er meinte, es müsse nicht sein, dass „einer aus dem Kabinett“ zurückgepfiffen werde, wenn er mal deutliche Worte spreche.

Wie geht es weiter?

Möglicherweise hat sich Seehofer von der Option noch nicht verabschiedet, selbst noch einmal anzutreten und doch nach 2017 in der Partei und 2018 an der Regierung weiterzumachen. Doch der Kräfteverschleiß ist dem 66-Jährigen anzusehen. Und Nahbeobachter berichten, dass er sich danach sehnt, kürzertreten zu dürfen, wenn der geordnete Übergang gelungen ist. Dafür versucht er auch, weitere potenzielle Kandidaten im Spiel zu halten. Völlig aussichtslos ist das nicht: Der einflussreiche Brüsseler EVP-Fraktionschef Manfred Weber wurde mit dem mit Abstand besten Ergebnis von 90,8 Prozent in die Riege der fünf Vizevorsitzenden gewählt. Und auch Innenminister Joachim Herrmann fuhr bei der Wahl der Bezirksverbandsvertreter im Vorstand mit 592 Stimmen deutlich mehr Zustimmung ein als Vizeregierungschefin Ilse Aigner (516) und Söder selbst mit 513 Stimmen.

Doch die Worte und die Tonlage, mit der Seehofer in seiner Rede die eigens als Söder-Konkurrenz von Berlin nach München geholte Aigner bedachte, waren bemerkenswert leise und schon fast bedauernd. „Liebe Ilse“, sprach er sie an, um ihr dafür zu danken, dass sie als Wirtschaftsministerin eine hervorragende Partnerschaft mit der Wirtschaft erreicht habe. „Vergelt's Gott dafür, liebe Ilse“, fügte er hinzu, als meinte er mehr als nur das, sondern das ganze Projekt, gegen Söder den Kampf um die Macht aufzunehmen. Und ihn kaum noch gewinnen zu können.