Ankara

Ankara und die zwei Fronten: Ein Spiel mit dem Feuer

Eine riskante Strategie: Nato-Experten halten den türkischen Versuch, sich mit überschneidenden Fronten auf die eigentlichen Gegner zu konzentrieren, für "ein Spiel mit dem Feuer".
Eine riskante Strategie: Nato-Experten halten den türkischen Versuch, sich mit überschneidenden Fronten auf die eigentlichen Gegner zu konzentrieren, für "ein Spiel mit dem Feuer". Foto: dpa

Rückendeckung ja, Bündnistreue nein: Bei ihren Angriffen gegen den IS erhalten die Türken zwar Rückendeckung durch die Nato – ein Bündnisfall liegt aber nicht vor. Die Strategie Ankaras ist riskant.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Die Erklärung umfasst lediglich 13 Zeilen. Doch das Dokument des Nato-Rates enthält alles, was die Türkei von den Partnern der Allianz hören wollte: „Terrorismus stellt eine direkte Gefahr für die Sicherheit der Nato-Staaten dar“, heißt es. Und: „Wir stehen in strikter Solidarität zur Türkei.“ Im Übrigen wird man die Entwicklung an der südöstlichen Grenze des Bündnisses sehr genau verfolgen.

Türkei will keine Einmischung

Als die Nato-Botschafter am Dienstag nach der Sitzung wieder auseinandergingen, war die von manchen befürchtete Bitte um militärischen Beistand nach Artikel 5 des Vertrages nicht laut geworden. „Die Türkei hat nicht um zusätzliche militärische Nato-Präsenz in der Türkei gebeten“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er verwies darauf, dass die Türkei über „sehr fähige Streitkräfte“ verfüge. „Das ist die zweitgrößte Armee in der Allianz.“

Die Türkei wollte vor allem Rückendeckung von der Nato, und die bekam sie. Es ist nicht nur Regierungschef Ahmet Davutoglu, der das Bündnis gar nicht dabeihaben will, wenn er seine Jets Richtung Syrien schickt. Auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der schon kurz vor der Zusammenkunft in Brüssel den Friedensprozess mit den Kurden aufgekündigt hatte, liegt viel daran, die Verbündeten außen vor zu halten. Diese könnten sich ansonsten viel zu sehr in die neue Doppelstrategie Ankaras einmischen, am Ende sogar Einfluss nehmen.

Dabei hatten Vertreter der verschiedenen Mitgliedstaaten zuvor nicht einmal bestritten, dass die Türkei nach dem Anschlag von Suruc sogar das Recht gehabt hätte, die befreundeten Regierungen um militärische Mithilfe zu bitten. Auch wenn das Ausmaß des Attentats nicht das gleiche sein mag wie bei früheren Alarmierungen der Nato, die Voraussetzungen unterscheiden sich kaum vom ersten Bündnisfall der Allianz nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg während des Treffens.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg während des Treffens.
Foto: dpa

„Das war natürlich ein Anschlag auf ein Mitglied der Allianz“, hieß es im Hauptquartier des Bündnisses während der Sondersitzung. Eine Reihe von Nato-Staaten forderte die Regierung in Ankara aber mehr oder weniger deutlich auf, im Umgang mit der PKK die militärischen Mittel angemessen einzusetzen, um die Tür für eine Fortsetzung des Friedensprozesses offenzuhalten.

Ankara und Washington haben sich so etwas wie eine stillschweigende Genehmigung für den Plan abgeholt, der nun umgesetzt werden soll. Beide wollen gemeinsam die Extremisten des Islamischen Staates (IS) aus einer 90 Kilometer breiten Pufferzone zwischen der Türkei und Syrien herausdrängen. Dazu werden beide Luftwaffen eine Flugverbotszone einrichten, um an dieser Stelle Flüchtlinge anzusiedeln, die vor dem Bürgerkrieg geflohen sind.

Gleichzeitig kann Ankara seinen Kampf gegen die Terroristen der kurdischen Arbeiterpartei PKK fortsetzen. Dabei wollen die Türken möglichst nicht die irakischen Kurden (Peschmerga) sowie die Volksverteidigungseinheiten der PYD-Partei syrischer Kurden ins Visier nehmen. Denn diese Kräfte sind Teil der Anti-IS-Allianz. Nato-Experten halten den türkischen Versuch, sich mit überschneidenden Fronten auf die eigentlichen Gegner zu konzentrieren, zwar für höchst riskant und für „ein Spiel mit dem Feuer“. Aber dies sei, so hieß es bei dem Sondertreffen in Brüssel, „der einzige Weg, um zu verhindern, dass sowohl die Vereinigten Staaten als auch der Westen in den Verdacht geraten, erneut einen Feldzug gegen ein islamisches Land durchzuführen“.

Obamas und Erdogans eigene Ziele

Im Hintergrund, so mutmaßen EU-Außenpolitiker, geht es sowohl für Washington als auch für Ankara auch um innenpolitische Profilierung: US-Präsident Barack Obama versucht, den Wahlkampf im kommenden Jahr durch einen entscheidenden Erfolg zu prägen, auch wenn ihm das selbst nicht mehr zugutekommen wird. Und Erdogan will sich womöglich als hart durchgreifender Präsident inszenieren. Seine islamische AKP hatte bei den zurückliegenden Wahlen schwere Verluste einstecken müssen, Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Dafür, so sagen es einige Kritiker, sei der Präsident eben auch bereit, den Friedensprozess mit den Kurden zu opfern. Detlef Drewes