Frankfurt/Main

Wortlautauszüge aus Gaucks Laudatio auf Grossman

Joachim Gauck (r) hält am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio auf den israelischen Schriftsteller David Grossman. Dieser erhielt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Joachim Gauck (r) hält am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio auf den israelischen Schriftsteller David Grossman. Dieser erhielt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Foto: dpa (2)

Der Bürgerrechtler Joachim Gauck hat die Laudatio gehalten auf den israelischen Schriftsteller David Grossman, der am Sonntag in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Frankfurt/Main – Der Bürgerrechtler Joachim Gauck hat die Laudatio gehalten auf den israelischen Schriftsteller David Grossman, der am Sonntag in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm. Auszüge aus der schriftlichen Fassung seiner Rede:

„(...) Sie wollen auf Fanatismus und Gewalt nicht mit Fanatismus und Gewalt reagieren und weigern sich beständig, die schäbige Uniform des Hass zu tragen. Sie wollen sich aber auch nicht ohnmächtig einem “Schicksal„ unterwerfen und setzen alles daran, immer wieder die innere Freiheit für einen eigenen und alternativen Weg zu gewinnen. Und so steht nun, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ein Mann vor uns, dessen pure Existenz unserer ewigen Sorge, ob Leben gelingen kann, eine Antwort gibt. Darum macht uns die Begegnung auch glücklich. Denn indem wir diesem so besonderen Menschen begegnen, vermögen wir zu glauben, wozu auch wir fähig sind: Menschen sind nicht dazu verurteilt, Opfer ihrer Umstände zu sein. Menschen haben eine Wahl. Menschen können sich selbst noch angesichts von Willkür und Diktatur eine Bewegungsfreiheit schaffen. (...)

Grossmans Loyalität ist keine kritiklose Unterordnung, Er und andere Intellektuelle in Israel zeigen, dass neben Solidarität Meinungsfreiheit, Disput, Demokratie und Recht erst den Staat ausmachen, der als verteidigenswert gilt. Grossmans Loyalität ist keine kritiklose Unterordnung. Er und andere Intellektuelle in Israel zeigen, dass neben Solidarität Meinungsfreiheit, Disput, Demokratie und Recht erst den Staat ausmachen, der als verteidigenswert gilt. (...) Loyalität und Kritik sind keine Gegensätze, recht verstandene Loyalität und Kritik bedingen einander. Doch wäre es nur so einfach, wie es sich spricht! (...)

Die größte Gefahr, sagt Grossman, zerstörerischer als die Bedrohung durch die Hamas, sei das “Dahinschwinden des israelischen Selbsterhaltungstriebs„. Wie lange kann man noch wollen, wenn man die Hoffnung verliert? Wie lange kann man durchhalten, wenn man sich allein gelassen fühlt und die Zahl der Freunde abnimmt? Die Vereinigten Staaten gehörten zu den Freunden, erklärt Ora im Roman Ä“Eine Frau flieht vor einer Nachricht"Ü ihrem noch kleinen Sohn. Auch England zähle zu den Freunden. Über die übrigen Staaten Europas wischte ihr Finger auf der Landkarte aber nur noch grob hinweg. Und es versetzte mir einen Stich, dass WIR, dass Deutschland, in Grossmans Empfinden nicht zu den Freunden seines Landes gehören.

Es war doch nicht allein der Philosemitismus meiner Generation, den Grossman bemerkt haben muss, es waren doch auch die vielfachen Bemühungen des westlichen Deutschland, deutsches Unrecht wieder gutzumachen. Und waren mit Generationsverzögerung Scham und Trauer nicht doch eingekehrt in unserem Land? Es waren Überlebende der Schoah zurückgekommen und Juden aus der Sowjetunion zugezogen. Deutschland ­ so dachte ich lange ­ würde das letzte Land sein, das Israel Beistand und Solidarität aufkündigen würde. Heute kann ich Grossmans Skepsis gegenüber Deutschland und anderen europäischen Ländern besser verstehen.

dpa