Kritik: Altmeister Resnais überzeugt mit „Vorsicht Sehnsucht“

Vorsicht Sehnsucht
Vorsicht Sehnsucht Foto: Verleih

Mehr als 50 Jahre ist es her, da hat der Regisseur Alain Resnais gleich mit seinem Debüt das Kino geprägt: „Hiroshima, mon amour“ aus dem Jahr 1959 galt als einer der einflussreichsten Vertreter der Nouvelle Vague, der neuen Welle des Films in Frankreich, die mit konventionellen Erzählstrukturen brach. Nun, mit 87 Jahren, bringt Resnais mit „Vorsicht Sehnsucht“ wieder eine Liebesgeschichte in die Kinos. Auch sie trägt Resnais" originelle Handschrift und ragt in ihrer frischen Art aus dem gängigen Kino heraus.

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Mehr als 50 Jahre ist es her, da hat der Regisseur Alain Resnais gleich mit seinem Debüt das Kino geprägt: „Hiroshima, mon amour“ aus dem Jahr 1959 galt als einer der einflussreichsten Vertreter der Nouvelle Vague, der neuen Welle des Films in Frankreich, die mit konventionellen Erzählstrukturen brach.

Es war die poetische Geschichte um eine Liebe zwischen einer französischen Schauspielerin und einem japanischen Architekten in Hiroshima Mitte der 1950er Jahre ­ die Nachwirkungen der Atombombe überall noch sicht- und spürbar. Vor allem formal und ästhetisch waren dieser und die folgenden Filme des Franzosen außergewöhnlich.

Nun, mit 87 Jahren, bringt Resnais mit „Vorsicht Sehnsucht“ wieder eine Liebesgeschichte in die Kinos. Auch sie trägt Resnais„ originelle Handschrift und ragt in ihrer frischen Art aus dem gängigen Kino heraus.

“Vorsicht Sehnsucht„ hat im Französischen den charmanten Titel “Les Herbes Folles„, die verrückten Kräuter oder kurz: Unkraut. In Bildern fängt die Kamera (Eric Gautier) auch immer wieder ein, wie das Unkraut durch den Asphalt bricht, als Metapher für etwas im Leben, das sich unkontrollierbar seinen eigenen Weg sucht und nicht aufhalten lässt. So ergeht es nämlich den Protagonisten, deren Leben und Lieben Resnais auf so witzige wie kluge Weise erzählt. “Nach meinem Empfinden passt der Titel zu den Charakteren, die vollkommen irrationalen Impulsen folgen„, sagt Resnais in einem Interview.

Marguerite, gespielt von Sabine Azéma ­ übrigens Resnais“ Ehefrau ­ wird bei einem Schuhkauf in Paris die Handtasche entrissen. Ein Pensionär (André Dussollier) findet die Brieftasche der Frau. Er sieht ihr Foto, ihren Pilotenausweis und will sie unbedingt kennenlernen. Die Zahnärztin will davon zuerst aber nichts wissen, fühlt sich vielmehr belästigt von dem Mann – bis sich das Blatt wendet.

Resnais entfaltet, wie schon in dem surrealistische Filmklassiker „Letztes Jahr in Marienbad“ (1961), eine skurrile Geschichte um Sehnsucht und Fantasie, die das Alltägliche überhöht. Wobei „Vorsicht Sehnsucht“ ungleich leichter ist als „Letztes Jahr in Marienbad“, in dem man nicht zwischen Traum, Erinnerung und Gegenwart unterscheiden kann. Ist dort vieles zwar beeindruckend, aber auch bedeutungsschwanger, besticht Resnais„ neuer Film durch ein Art altersweise Lässigkeit.

“Vorsicht Sehnsucht„ hat etwas sehr spielerisch-kindliches. So sprechen die Figuren etwa viel offener ihre Gedanken aus, so als würden sie laut mit sich selbst sprechen anstatt etwa mit einem Polizisten, den die persönlichen Hintergründe seines Gegenübers normalerweise gar nicht interessieren oder auch nichts angehen. Irgendwie sind sich alle aber sehr persönlich und intim gesonnen. Dadurch erhalten die Figuren einen überaus menschlich-liebevollen Zug. Neben Azéma und Dussollier ist hier in seinem wunderbaren Spiel Mathieu Amalric zu nennen, den man als Bösewicht aus dem James-Bond- Film “Ein Quantum Trost„ kennt.

Die Hauptdarsteller Azéma und Dussollier waren unterdessen auch beide in Resnais“ gefeiertem Film „Das Leben ist ein Chanson“ zu sehen, mit dem Resnais auf der Berlinale 1998 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, in Anerkennung auch für sein Lebenswerk und seine Verdienste für die Filmkunst überhaupt. Im vergangenen Jahr erhielt der neue Film „Les Herbes Folles“ bei den Filmfestspielen in Cannes den Spezialpreis der Jury.

Wenn zwar witzig, frisch und leicht erzählt ­ leicht für jeden Zuschauer ist aber auch dieser Resnais-Film nicht. Er ragt als Kunstfilm formal und stilistisch aus dem gängigen Kino heraus. Im Laufe des Films wird es immer skurriler und surrealistischer, vermengen sich auch hier Wirklichkeit und Fantasie. Aber es lohnt sich, sich auf dieses Experiment einzulassen. (Internet: www.lesherbesfolles-lefilm.com)

Susanne Schmetkamp