Wahlbeobachter Martin Fuchs: „2017 kann eine Wahl ohne das Digitale nicht mehr gewonnen werden“

Politikberater Martin Fuchs analysiert tagesaktuell 33.000 Social-Media-Profile von Organisationen, Parteien und Politikern. An der Universität Passau unterrichtet er zum Thema Social Media in der Politik.
Politikberater Martin Fuchs analysiert tagesaktuell 33.000 Social-Media-Profile von Organisationen, Parteien und Politikern. An der Universität Passau unterrichtet er zum Thema Social Media in der Politik. Foto: pr.

Besteht der digitale Wahlkampf nur aus Mätzchen? Martin Fuchs, Berater für digitale Kommunikation und Lehrbeauftragter an der Universität Passau, gibt dazu eine ausweichende wie ebenso klare Antwort: 2017 lässt sich eine Wahl ohne das Digitale nicht mehr gewinnen.

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Die Linksfraktion im Bundestag brüsten sich mit 100.000 Likes auf Facebook, die CDU hält Martin Schulz einen Videoausschnitt vor, in dem er Anhänger zum Jubeln auffordert. Besteht digitaler Wahlkampf nur aus Mätzchen?

Martin Fuchs: Die Frage ist, was die Parteien erreichen wollen. Bestimmte Fanzahlen zu erreichen und diese zu feiern ist Netzkultur, das machen andere Accounts auch. Da geht es ums Bespaßen und Mobilisieren der eigenen Community. Das virale Video von Martin Schulz ist ähnlich, wir nennen das „negative campagning“. Das ist eher Geplänkel, wir sind noch lange nicht im richtigen Wahlkampf.

Martin Fuchs, Jahrgang 1979, ist Wahl-Hamburger und berät Regierungen, Parteien und Behörden bei der digitalen Kommunikation. Auf der Plattform pluragraph.de analysiert er gemeinsam mit Mitstreitern tagesaktuell 33.000 Social-Media-Profile unter anderem von Organisationen und Politikern. Zudem ist er Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Passau und unterrichtet an weiteren Hochschulen zum Thema Social Media in der Politik.

Was müssen wir da noch erwarten?

Ich erwarte eine kommunikative Linie: Wofür stehen die Parteien eigentlich? Das hat die SPD fürs Erste ganz gut geschafft mit jemandem, der postuliert, dass er für soziale Gerechtigkeit steht, der diese Vision formuliert. Diese Vision fehlt mir bei anderen Parteien. Die Grünen haben nachgelegt mit ihrem Parteiprogramm, das Mut aussprechen soll. Die CDU dürfte damit in den nächsten Wochen auch kommen. Aber die entscheidenden Wochen sind die zwei vor der Wahl, das ist noch lange hin.

Wie wichtig ist dabei das Digitale?

2017 kann eine Wahl ohne das Digitale nicht mehr gewonnen werden. Das Konsum- und Informationsverhalten hat sich seit 2013 massiv verändert. Die digitale Sphäre ist ein wichtiger Ort, an dem sich Bürger informieren, sei es über Wikipedia, eine Google-Suche, den Wahl-O-Mat oder die Angebote der Parteien selbst. Das betrifft nicht mehr nur junge Zielgruppen. Das betrifft jeden, der sich auch privat über WhatsApp und Co. über Dinge in der Familie und mit Bekannten auf dem Laufenden hält.

Bisher musste man aktiv den Fernseher einschalten oder eine Zeitung lesen. Social Media funktioniert anders: Mir werden Themen aus dem persönlichen Umfeld in meine Timeline gespült – auch wenn man nie nach politischen Inhalten gefragt hat. (Zur Erklärung des Begriffs Timeline: siehe „Die Werkzeuge im Digitalen“. – Red.) Das wird für die Parteien wichtiger, um Reichweiten und Wahrnehmung zu erzielen. Es war nie so einfach für jeden einzelnen, politische Informationen weiterzutragen. Beim Schulz-Hype war nicht die Partei der Absender, sondern der Freundeskreis. Es ist viel wertiger, wenn der Ingo oder die Ute, meine Freunde, etwas absenden.

Das sind doch aber selten wirklich politische Inhalte. Dominieren da nicht die genannten Mätzchen und Spielchen?

Nachrichtliche Berichterstattung funktioniert auf diesem Weg vielfach nur noch über Mätzchen; die inhaltlich-politische und seriöse Kommunikation findet sehr wohl statt – über diese berichtet aber niemand mehr, weil es Standard geworden ist. Wenn ein Politiker zum Beispiel die Datingplattform Tinder nutzt, um mit Wählern ins Gespräch zu kommen, dann ist das nur in einer ganz bestimmten Zielgruppe, den sexuell aufgeschlossenen, cool und interessant. Aber weil es neu ist, berichten natürlich auch die Medien darüber.

Ich schätze, 90 Prozent der Kommunikation zum Beispiel bei der SPD und besonders auch bei der FDP sind harte politische Inhalte. Wenn auch anders verpackt. Laut Forschung muss ein Inhalt im Schnitt siebenmal wahrgenommen werden, bevor er sich im Hinterkopf festsetzt. Deshalb sollten die gleichen Positionen auch immer wieder auch in der digitalen Kommunikation auftauchen. Das schaffen die Parteien gut.

Welche Partei ist bei der digitalen Kommunikation am weitesten?

Beim Verständnis für die Netzkultur und die Phänomene sehe ich die FDP vorne. Sie ist schnell und dialogfähig, das sind die grundlegenden Erfolgsfaktoren im Digitalen. Die SPD hat mich seit Ende Januar überrascht, wie sie Netzinhalte, die zum Beispiel bei Reddit entstanden sind, schnell aufgegriffen hat. Dort war der #Schulzzug aufgekommen, ein Bild für Martin Schulz als Lokomotive. Auch einen parteieigenen Hackathon zu veranstalten und externe Experten und Nicht-Mitglieder so in den Wahlkampf einzubinden, fand ich super. Zudem erzählt die Partei rund um Ihren Spitzenkandidaten gute Geschichten, die die Positionen sehr gut transportieren. Auf Bundesebene gelingt das den großen Parteien gut, auf Wahlkreisebene sieht das oft noch anders aus.

Und die AfD? Ist sie nicht die eigentliche Facebook-Partei?

Die AfD hat ihren Fokus auf Facebook gesetzt und handwerklich eine klare Sprache gefunden, um ihre Zielgruppe dort zu adressieren und zu mobilisieren. Anfangs hat sie das sehr gut gemacht. Sie ist aber auch darin gefangen: Das ständige Provozieren und Polarisieren kann nicht mehr krasser werden. Besonders mit Höcke ist das Fass zum Überlaufen gebracht worden, so dass konservative Wähler es nicht mehr goutieren.

Die AfD erreicht weiterhin eine riesige Reichweite mit bis zu 4 oder 5 Millionen Lesern pro Facebook-Posting. Über die hinaus geht es nicht mehr, die AfD ist gefangen in ihrer sehr spitzen Zielgruppe, und an einer gläsernen Decke angekommen. Da haben andere Parteien noch mehr Potenzial, sich übers Digitale zu steigern – durchaus gelernt aus der AfD-Erfahrung.

Interview: Marcus Schwarze